Dienstag, 27. Juni 2017

Arnis - die "Insel der Unbeugsamen"

(Karte: Open Street Map)
Etwa fünf Kilometer südlich der Stadt Kappeln liegt auf einer Halbinsel in der Schlei der Ort Arnis. Mit einer Fläche von weniger als einem halben Quadratkilometer und einer Einwohnerzahl von 279 (Ende 2015) ist Arnis die kleinste Stadt Deutschlands.

Der Ort feiert in diesem Jahr sein 350jähriges Bestehen und hat seine Entstehung dem Freiheitswillen und dem Eigensinn seiner Vorfahren zu verdanken. Als im Jahr 1666 der Gutsherr der Ländereien um den kleinen Flecken Kappeln herum auch von den Einwohnern Kappelns die Unterwerfung unter die Leibeigenschaft und den Treueeid verlangte, widersetzten sich etliche Familien. Sie baten ihren Landesherrn Herzog Christian Albrecht um die Erlaubnis, sich auf der unbewohnten Insel Arnis niederzulassen zu dürfen.

Am 11. Mai 1667 fanden sich 64 Familien auf dem noch unbebauten 800 Meter langen und 200 Meter breiten Inselchen ein, das damals noch keine Landverbindung hatte, und begannen damit, als Freie ein Dorf aufzubauen. Zunächst lebten die tatkräftigen Neusiedler vom Fischfang, aber schon bald betrieben sie erfolgreich Seehandel in der westlichen Ostsee und widmeten sich dem Schiffbau. Zur Zeit seiner Blüte um die Mitte des 19. Jahrhunderts hatte der Ort 1000 Einwohner und war Heimathafen für 88 Handelsschiffe.

Mittlerweile hat sich das kleine Städtchen mit seinem musealen Charakter zu einem beliebten Ziel für Touristen gewandelt. Viele der historischen Häuser wurden von zugewanderten neuen Einwohnern erhalten und restauriert. Mehrere Yachthäfen bieten Liegeplätze und maritimen Service für Wassersportler auf der Schlei, die diesen landschaftlich reizvollen Meeresarm der Ostsee besuchen.
Die Hauptstraße von Arnis an einem lebhaften Montagmorgen

Montag, 26. Juni 2017

MOIN! allerseits

Als ich dieses Schild in der Fußgängerzone von Eckernförde sah, kam mir der Gedanke, meinen Lesern von südlich des Mittellandkanals und überhaupt allen Nicht-Plattdeutschen zu erklären, daß unser "Moin" nicht ausschließlich etwas mit einem Gruß zum guten Morgen zu tun hat.

Tatsächlich ist dieser fröhliche einsilbige Gruß zu jeder Tages- und Nachtzeit passend, aber vorzugweise soll er einsilbig und nicht verdoppelt gebraucht werden. Wer beim "Moin, moin" ertappt wird, gilt schnell als Schwätzer. Dies alles zu erwähnen hatte ich im Sinn, und noch ein paar Anmerkungen mehr.

Und dann kam ich auf die Idee, etwas vertieft nach der Herkunft, dem Ursprung und dem Gebrauch dieses menschenverbindenen Zurufs zu forschen, und ich fiel dabei fast hintenüber:

Wir Norddeutschen haben keineswegs ein Patent auf diese kurze und klare Freundlichkeit, sondern der Ausdruck hat beinahe eine Nationen verbindende Funktion. Meine Verblüffung war grenzenlos, als ich erfuhr daß Luxemburger, Schweizer, Dänen, Holländer, ja sogar in verwandter Form Polen, Finnen, Letten, Norweger und Schweden unsere knappe und prägnante Grußformel benutzen.

Wen Einzelheiten dazu interessieren, dem empfehle ich den langen, aber interessanten Artikel zum Stichwort "Moin" in der deutschen Wikipedia.

Und wenn wir uns demnächst begegnen, müssen wir nicht mehr über den der Tageszeit angepaßten Gruß nachdenken: ein fröhliches MOIN paßt immer, und ist Ausdruck allerherzlichster Verbundenheit.

Sonntag, 25. Juni 2017

Leibeigenschaft

Beim Betrachten von schönen Schlössern, Palästen, Burgen oder Gutshäusern denken wir nicht allzu häufig an die tatsächlichen Erbauer solcher historischen Gebäude, an die Männer und Frauen, die ihre Arbeitskraft und ihr Leben gegeben haben, damit sich feudale Macht und Pracht entfalten konnten. Dieser Tage wurde ich ganz unerwartet daran erinnert.

In dem zu Kappeln an der Schlei gehörenden Dorf Grimsnis hielt ich an, um den Text auf einem Stein zu lesen, der ziemlich unscheinbar an einer Bundestraße unter einer alten Eiche steht.
Der vor inzwischen 118 Jahren gesetzte Stein erinnert an die Aufhebung der Leibeigenschaft in der Gegend im Jahr 1799

Die Geschichte der adligen Güter in Schleswig-Holstein reicht bis ins Mittelalter zurück. Die von den jeweiligen Landesherren mit Grundbesitz belehnten Ritter und Mitglieder alten Adels errichteten zu ihrem eigenen Schutz und dem ihres Lehnsherren Burgen, die zu Keimzellen der Herrenhäuser wurden, die heute noch anzutreffen sind. Den Grundherren stand zu dem Land auch das Recht auf Abgaben von den ansässigen Bauern und deren Frondienste zu.

Als Folge politischer Veränderungen nach der Reformation und dem Bevölkerungsschwund durch Pestwellen und Kriege wurden aus den ursprünglich noch freien Bauern im 17. Jahrhundert besitzlose Leibeigene. Sie wurden in Gutsdörfer umgesiedelt und den Gutsherren stand zu, "Recht über Hals und Hand" ihrer Untergebenen sprechen zu dürfen.

Neben den Frondiensten bedeutete  die Leibeigenschaft vielfältige Freiheitsbeschränkungen, von dem Verbot, den Gutsbezirk zu verlassen bis hin zur Pflicht, vom Gutsherren eine Heiratserlaubnis erbitten zu müssen. Je nach Ausgestaltung lag der Rechtszustand zwischen Hörigkeit und Sklaverei. Zwar oblag dem Gutsherren auch eine Fürsorgepflicht für seine Untergebenen, aber auch dabei stand dem Herrn frei, diese Verpflichtung nach seinem Willen zu gestalten.

Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts schwand der politische Einfluß der Gutsherren. In Schleswig-Holstein wurde die Leibeigenschaft in mehreren Phasen bis 1805 aufgehoben. Große Teile der Güter wurden parzelliert und den ehemals leibeigenen Bauern zur Pacht gegeben.


Mittwoch, 21. Juni 2017

Die Queen auf dem Schwanenteich


Was man in Kiel bei der Kieler Woche so macht: Schiffe gucken natürlich.

Hier sehen wir den Cunard-Kreuzliner "Queen Elizabeth" beim Einlaufen in die Kieler Förde. Nicht sehr oft dürfte man Gelegenheit haben, das Ozeanschiff auf dem gleichen Wasser zusammen mit Schwänen zu sehen. Auf der Ostsee und speziell in der Kieler Förde ist das möglich, weil das Seewasser einen viel geringeren Salzgehalt als andere Teile der Weltmeere hat.

(Was man sonst noch bei der Kieler Woche macht, läßt sich schön mit diesem norddeutschen Schnack beschreiben: Slapen, eeten, supen, langsam gahn un pupen.)

Samstag, 17. Juni 2017

Fahnenhalter, sofort verfügbar, Farbe des Tuchs egal

Immer wieder berührt mich der Gedanke, daß die Einwohner der DDR gleich zwei totalitäre Regime nacheinander über sich ergehen lassen mußten. Zwar waren die Ideologien der beiden Systeme beinahe gegensätzlich, aber sie hatten auch viele gemeinsame Merkmale.

Das Dritte Reich der Nationalsozialisten von 1933 bis 1945 als auch die nach dem Kriegsende aus der sowjetisch besetzten Zone hervorgegangene Deutsche Demokratische Republik von 1949 bis 1989 zeichneten sich durch sehr ähnliche propagandistische Methoden der Massenbeeinflussung aus, deren Reste noch heute zu finden sind.

Es bedarf keiner besonderen Aufmerksamkeit, an älteren Häusern in den neuen Bundesländern immer noch die alten Fahnenhalter zu entdecken. Vor allem in kleineren Orten, wo die Sanierung älterer Häuser noch nicht weit vorangekommen ist, finden sich die inzwischen unbenutzten Rohrstücke zur Aufnahme von Fahnenstangen an den Hauswänden.

Die Mehrzahl dieser "Jubelröhren" dürfte schon in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts angebracht worden sein, als die Bürger ihre Häuser zu allerlei Gelegenheiten mit herausgehängten Fähnchen festlich zu schmücken hatten. Das fing selbstverständlich mit dem Geburtstag des "Führers" an. In dem Festkalender standen daneben der 1. Mai, der Muttertag, der Tag der Machtergreifung und eine lange Liste anderer Gedenk- und Feiertage.

Bis auf den 1. Mai waren die Feiertage in der späteren DDR andere, aber vor allem änderten sich die Farben der Fahnentücher. Die Hakenkreuzfahnen wurden durch solche in schwarz-rot-gold mit dem DDR-Symbol Hammer und Zirkel im Ährenkranz ersetzt, dazu waren auch rote Fahnen erwünscht, gern mit Hammer und Sichel. Ein weiterer wichtiger Festtag für das Ausschmücken der Dörfer und Städte mit buntem Tuch war der 7. Oktober, der Gründungstag der DDR.

Es gab dazu eine gewisse Kontinuität in Methode und verwendeten Vorrichtungen: Die ganze bunte Dekoration im "wahren Sozialismus" konnte sich weiter auf die Basis von Fahnenhaltern stützen, die die vorigen "nationalen Sozialisten" schon hatten installieren lassen.

Manche Häuser sind nur mit einem oder zwei Haltern für die Fahnen ausgerüstet, an anderen Hausfronten habe ich aber auch vier und fünf solcher Vorrichtungen gesehen. Gern würde ich wissen, ob es die gleichen Hausbewohner waren und sind, die einst besonders viel Tuch hinaushängten, und ob sie es dann mit den neuen Farben auch so eifrig hielten. Aber das hieße sicher, alte Geschichten ausgraben und neue Wunden aufreißen.

Was ich nicht wirklich zu ergründen versucht habe, ist, ob die heute noch vorhandenen Fahnenhalter einfach aus Gleichgültigkeit noch nicht abmontiert wurden, oder ob der Gedanke dahinter steckt, daß die praktischen Dinger auch vielleicht noch ein drittes Mal nützlich und notwendig werden könnten...

Donnerstag, 15. Juni 2017

Ein großes Schlüsselloch, und ein nasses dazu

Die Produktion von und der Handel mit Salz war seit dem späten Mittelalter einer der Schlüssel des Wohlstands der Hansestädte Lübeck und Lüneburg. Hier sehen wir eines der "Schlüssellöcher" für den wirtschaftlichen Erfolg:


Die Palmschleuse bei Lauenburg an der Elbe ist die älteste Kammerschleuse in Europa. Sie hat ihren Ursprung in einem frühen Kanal, der über 15 Schleusen die Trave bei Lübeck mit der Elbe verband. Der 1398 fertiggestellte Stecknitzkanal war der erste Kanal in Europa, der über eine Wasserscheide führte und dabei einen Höhenunterschied von 18 Meter überwand. Damit war auch der erste Wasserweg geschaffen, der die Ostsee mit der Nordsee verband und den Weg durch den Öresund und um Jütlandland herum abkürzte. Wenn auch dieser Kanal zunächst eine sehr beschränkte Kapazität hatte, für so wertvolle Güter wie das Salz zur Ostsee hin und Felle, Heringe und Holz aus dem Baltikum in Richtung Elbe lohnte die Mühe, die Lastkähne in zu Anfang fünfwöchigen Reisen über die 97 Kilometer zu staken und zu treideln.

Die Palmschleuse ist eines der letzten erhaltenen Sperrwerke des alten Kanals, der erst 500 Jahre später durch den Elbe-Lübeck-Kanal ersetzt wurde. Die zunächst aus Holz gebaute Schleuse wurde erst 1724 mit behauenen Natursteinen ausgemauert, die noch heute zu sehen sind. Die Schleuse wird nicht mehr benutzt und als Baudenkmal erhalten.

Dienstag, 13. Juni 2017

Die Heide - eine menschengemachte Ödnis

Die Heide bei Schneverdingen. Noch unnützer, wenn sie gerade nicht blüht, was meistens der Fall ist.
Die Heide ist eine der unnützesten Landschaftsformen, die wir in Deutschland kennen, auf einer Stufe mit dem unwegsamen Hochgebirge, und womöglich nur noch übertroffen von Truppenübungsplätzen.

Ich höre jetzt beinahe den Aufschrei der Freunde der blühenden Heide und der Anbeter der schroffen Felsformationen der Alpen, ganz zu schweigen von der Empörung der Militärs, die in den von ihren Übungen verwüsteten Landstrichen die Wiege aller Kampfbereitschaft sehen. Und natürlich empören sich diejenigen, die von der Heide und dem Hochgebirge leben, weil diese Landschaften so anziehend auf jede Menge von Touristen wirken, die kommen und reichlich Geld dalassen.

Schön und gut, der Faktor Tourismus produziert Arbeitsplätze und Einkommen. Er hat seinen Ursprung in beinahe unerklärlichen emotionalen Beziehungen zu diesen unwirtlichen Landschaftsformen, von der sich Millionen immerzu angelockt fühlen. Das kann ich nicht so recht beurteilen, davon wußten Hermann Löns und Luis Trenker mehr.

Die Heide an sich produziert nichts in nennenswertem Umfang. Sogar das Wattenmeer ist fruchtbarer. Die Heidschnucken als Schafrasse sind weder besonders ertragreiche Fleisch- oder Milchproduzenten, noch spielen sie bei der Erzeugung von Wolle eine wesentliche Rolle und werden bei weitem von anderen Schafrassen übertroffen. Und auch der Heidehonig ändert kaum etwas an der ökonomischen Bilanz der Heide.

Historisch gesehen ist die Heide eine vom Menschen in der Vergangenheit übernutzte, ausgelaugte und mißhandelte Landschaft. Der interessante Aspekt ist nun, daß Landschafts- und Naturschützer sich dermaßen ins Zeug legen, die Heide als unersetztliche Biosphäre zu schützen und zu erhalten. Es wird also versucht, das Ergebnis jahrhundertelanger Mißwirtschaft einer langen Reihe von Generationen vor uns schützen. Wohlgemerkt: es geht nicht darum, den Zustand wieder herzustellen, der vor dem Zugriff des Menschen bestand, sondern es geht darum, das Produkt der Zerstörung zu erhalten. Kurios.

Wir Menschen sind gegenwärtig dabei, unseren Planeten überall und sehr erfolgreich zu verbrauchen. Am Beispiel der Heide könnte man nun auf die Idee kommen, daß irgendeine künftige Generation nicht versuchen wird, das Ökosystem zu heilen, das wir hinterlassen. Sondern sie wird nach uns den beschädigten, vermüllten, verseuchten und kontaminierten Erdball in der Form bewahren wollen, wie er dann angetroffen wird, Reparatur ausgeschlossen. Die winzigste Anstrengung zur Schonung wäre ein Verstoß gegen die dann geltenden Gesetze. Das wäre ebenso kurios.

Sonntag, 11. Juni 2017

Denkmalschutz II

Neulich fuhr ich in dem Heidestädtchen Schneverdingen an einem Aldi-Geschäft vorbei und wollte kaum glauben was ich da sah:

Der durchaus ansprechende Ziegelbau mit seinen zwei Stufengiebeln, angelehnt an den Stil der Backsteingotik, hätte auch eine in das Stadtbild eingepaßte Markthalle sein können. Spontan machte ich ein Foto und dachte, der Lebensmitteldiscounter hätte begonnen, seine Filialen ästhetisch etwas ansprechender zu gestalten, weg vom rein funktionalen quadratischen Gewerbebau.

Ohne das geplant zu haben, geriet ich am nächsten Tag zufällig in ein Gespräch mit einem leitenden Aldi-Angestellten, der offenbar einen Besuch in dieser Filiale machte. Das Gespräch begann über Spreewälder Knackwürste, einem neuen Produkt im Angebot. Ich wollte dem Mann im eleganten Business-Anzug zu dem Wandel im Baustil für die Lebensmittelkette gratulieren, aber da winkte er schon ab. Erstens sei dieser Bau seit fünfzehn oder mehr Jahren nur gepachtet, und zweitens sei das Gebäude jüngst gekauft worden und würde demnächst einem modernen Neubau weichen. Es würde mehr Platz für ein erweitertes Angebot gebraucht, und energetisch sei der noch relativ junge Ziegelbau schon lange nicht mehr auf dem Stand der Technik. Moderne Aldi-Märkte, so erzählte er, würden so gebaut, daß sie beinahe energieneutral betrieben werden könnten. Aber klar, so meinte auch er, es sei schade um das schöne Gebäude.

Schließlich fragte ich dann noch, wie der Neubau aussehen würde und bekam bestätigt, was ich befürchtet hatte: es wird ein moderner Industriebau, funktional und energieeffizient, aber ohne Anspruch auf eine verschönernde Komponente für das Stadtbild.

Samstag, 10. Juni 2017

Braunschweiger Stadtkultur

Als ich neulich in der Nähe vorbeikam, entschied ich mich spontan für einen Stop in Braunschweig. Zwar hatte ich in der Vergangenheit zuweilen in Braunschweig zu tun gehabt, aber eigentlich kenne ich die Stadt nicht. Ich parkte mein Reisemobil auf einem dafür vorgesehenen Platz. Nachdem ich im Internet generelle Informationen zu der Stadt überflogen hatte, machte ich mich an dem trüben regnerischen Abend mit dem Fahrrad auf den Weg, die Stadt zu erkunden.

Ich hatte gelesen, daß durch Kriegseinwirkungen wenig von dem historischen Kern des ehemaligen Sitzes Heinrichts des Löwen und der Welfen erhalten geblieben ist. Wie immer handelt es sich dabei hauptsächlich um Befestigungen, Kirchen, Klöster und Feudalbauten, eben solchen, die stabil genug waren, daß von ihnen nach Bombenhagel, Artilleriebeschuß und Feuersbrunst noch ein erkennbarer Rest geblieben war.

Diese Reste hatte man wieder hergerichtet, und ich fand sie bei meiner Runde durch die Stadt, alle wie angekündigt und beschrieben, einschließlich der eindrucksvollen Statue des Braunschweiger Löwen, obwohl auch die eine Kopie des erhaltenen Originals ist.

Das frühere Lebensumfeld der gewöhnlichen Bevölkerung, der kleinen Leute, ist größtenteils zu Schutt, Asche und Staub zerfallen und verloren gegangen. Zwei Ausnahmen traf ich an, wo alte historische Bausubstanz weitgehend erhalten geblieben ist und gepflegt wird. Die eine ist das Magniviertel mit seinen schönen Fachwerkbauten, dessen Gassen sich zu einem beliebten Ausgehviertel mit Cafés, Kneipen und Restaurants entwickelt haben. Dieses Altstadtviertel wird ausführlich im offiziellen Stadtführer erwähnt und gerühmt.

Bruchstraße
Die andere Ausnahme ist ein Straßenzug, den ich zufällig entdeckte und durch den ich beinahe geradelt wäre, obwohl die Straße eher zum be-schau-lichen Schlendern gedacht ist. Auch Bordelle sind ein Teil von Stadtkultur. Die historische Bruchstraße in Braunschweig gehört zu einer der wenigen Ecken der Stadt, die vom Bombenhagel verschont geblieben sind und wo in 33 erhaltenen Fachwerkhäusern noch heute Prostitution betrieben wird. Hier reicht die Geschichte der Prostitution bis ins Mittelalter zurück.

Dennoch wird die Gasse von der offiziellen Stadtinformation anscheinend gar nicht erwähnt.

Freitag, 9. Juni 2017

Ostalgie auf dem Grabbeltisch

Ehemalige Markenprodukte der DDR erfeuen sich seit etlichen Jahren wieder zunehmender Beliebtheit, manche haben sogar die Ladenregale in den "alten" Bundesländern erobert. Ob Schokolade und Süßigkeiten, Waschmittel oder Kosmetikartikel: Erzeugnisse aus den neuen Bundesländern kommen mit den vertrauten Namen und haben vor allem für die ältere Generation in Mitteldeutschland einen hohen Wiedererkennungswert. Marktforscher wollen darin nicht allein "Ostalgie" erkannt haben, sondern auch einen Trend zu regionalen Qualitätsprodukten mit den in der Vergangenheit gewohnten und geschätzten Eigenschaften.

Obwohl die nicht zum Erfahrungsschatz meiner Westler-Vergangenheit gehören, denke auch ich inzwischen an Spreewälder Gurken, Thüringer Pflaumenmus aus Mühlhausen, Rotkäppchen-Sekt und verschiedene inzwischen wohlbekannte Biersorten, wenn es um Produkte aus der Ex-DDR geht. Und in Costa Rica kann ich sogar Heringskonserven in den bekannten ovalen Dosen kaufen, die von Rügen-Fisch aus Saßnitz kommen.

Teils mit Stolz auf die kulturellen und wirtschaftlichen Leistungen der untergegangenen Republik in Mitteldeutschland, und natürlich auch für eine nostalgische Rückbesinnung auf die Lebensgeschichte mehrerer Generationen unter den Bedingungen des sozialistischen Experiments unter Sowjetaufsicht, wurden und werden Bücher verlegt, die solche Erinnerungen bedienen wollen.

Allerdings scheint bei Jüngeren die Nachfrage nach solchen Werken erheblich nachgelassen zu haben. Wie anders wäre es zu erklären, daß Bücher über die mitteldeutsche Autoindustrie oder auch über das Fernseh-Sandmännchen der Vergangenheit inzwischen zu Sonderpreisen auf dem Grabbeltisch vor Buchhandlungen liegen? Es scheint nicht einmal mehr genügend Käufer zu geben, die über Witze mit Erich Honecker lachen wollen. Womöglich weiß mancher Fünfundzwanzigjährige kaum noch, wer dieser Erich war...

Donnerstag, 8. Juni 2017

Denkmalschutz I

Wie viele andere Städte in Deutschland hat auch Magdeburg gegen Ende des Zweiten Weltkriegs unter den alliierten Bombenangriffen gelitten. Für die Industriestadt an der Elbe wird ein Zerstörungsgrad von 90 Prozent berichtet. Das historische Zentrum war nahezu vollständig zerstört.

Neben der Notwendigkeit, den enormen Bedarf an Wohnraum zu Beginn der 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zu befriedigen, galt es auch, der Stadt wieder ein Gesicht zu geben. Beginnend im Zentrum am Breiten Weg wurden eindrucksvolle Gebäude errichtet, die sowohl den Macht- als auch den Repräsentationswillen des sozialistischen Regimes der DDR widerspiegeln sollten. Der "angesagte" Baustil kam aus der Sowjetunion und wurde im Westen als "Zuckerbäckerstil" verspottet, korrekter wurde er als sozialistischer Klassizismus beschrieben. Von der ökonomischen Anstrengung, systemkonform groß und prächtig zu bauen, zeugen heute noch viele Gebäude im Zentrum von Magdeburg, so wie der auf dem Foto gezeigte Block, der zwischen 1953 und 1957 errichtet wurde.
Sozialistischer Klassizismus in Magdeburg
Zum Ende der 60er Jahre wurde von den regierenden Einheitssozialisten auch die Notwendigkeit erkannt, den gewachsenen Konsumwünschen der Bevölkerung zu entsprechen, oder dafür zumindest die Kulisse zu schaffen. Das von 1970 bis 1973 am Breiten Weg errichtetete Centrum-Warenhaus war zu seiner Zeit eines der fortschrittlichsten Projekte im Bereich des Baus und der Gestaltung moderner Kaufhäuser in der DDR, und eines der größten obendrein.
Ehemaliges CENTRUM-Warenhaus in Magdeburg
Während meine Haltung zu der architektonischen und ästhetischen Erscheinung des Warenhauses und seiner Aluminium-Fassade eher ablehnend ist, kann ich in den Bauten der 1950er Jahre die Formenstprache der damaligen Epoche erkennen, die nach meiner Auffassung auch heute noch Repekt, Anerkennung und Aufmerksamkeit verdient (solange wir nicht über Arbeitsbedingungen der Bauleute damals sprechen).

Zu meiner Überraschung erfuhr ich zufällig, daß beide hier gezeigten Bauten unter Denkmalschutz gestellt wurden. Das überrascht umso mehr, als daß so vieles Geschaffene aus der DDR-Periode nach der Wiedervereinigung rücksichtslos vernichtet wurde, und damit auch Zeugnisse der Geschichte jenes Teils von Deutschland. Was die beiden hier erwähnten Bauten angeht, hat man in Magdeburg mutige Entscheidungen getroffen, die von einigem historischen Bewußtsein zeugen.

Hätte ich zu entscheiden gehabt, wäre der Warenhausklotz, den ich für ziemlich häßlich halte, schon längst verschwunden. Allerdings bin ich auch im Zeifel, ob mir das besser gefallen würde, was danach kommt. Und ganz nebenbei: ich habe vergessen, die Frage zu stellen, welches Dämmmaterial in dem Warenhaus verwendet wurde. Es würde mich wundern, wenn da kein Asbest drinsteckte, und dann könnte der Bau am Ende womöglich doch noch das Schicksal mit "Erichs Lampenladen", dem lange verschwundenen ehemaligen "Palast der Republik" in Berlin teilen...

Dienstag, 6. Juni 2017

Diese Schönheitsideale verstehe ich alle nicht


Ohne Kommentar.

(Um Zweifeln vorzubeugen: Dieses Foto ist keine Montage, und es ist auch nicht mehr bearbeitet, als daß ich die Augenpartie des Mädchens abgeschnitten habe, um ihm nicht einen schwarzen Balken über die Augen malen zu müssen. Ich zeige dieses unbearbeitete Bild einer lebenden Person hier, ohne deren Einverständnis dafür zu haben. Ich habe diese junge Frau jüngst selbst gesehen und fotografiert.)

Sonntag, 4. Juni 2017

Haltet Maß, um Luthers und Gottes Willen!

Die Sache mit den Ablaßbriefen war im 16. Jahrhundert kein schlechtes Geschäft, immerhin konnte der wunderbare Petersdom in Rom gebaut werden.

Aber auch das Gegenteil davon, die von Martin Luther im Jahr 1517 wegen der Ablaßbriefe angezettelte Reformation und Kirchenspaltung, soll zumindest 500 Jahre später ordentliche Früchte tragen. So denken wenigstens die Geschäftsleute in der Lutherstadt Wittenberg.

Weil es in der Stadt für mich keine freie Herberge gab - sprich: weil wegen der zahlreichen Pilger kein naher Stellplatz für mein Wohnmobil zu bekommen war -, nahm ich im 17 Kilometer entfernten Coswig Quartier und machte mich mit dem Fahrrad auf den Pilgerweg.

Die Stadt hat zu dem Jubiläum ein festliches Gewand angelegt und präsentiert sich fein herausgeputzt. Und wer es nicht ohnehin gewußt hat, wird an jeder Ecke an den Reformator und sein Werk erinnert, das zweifellos weltbewegende Veränderungen in Gang gesetzt hat.

In Wittenberg, Verzeihung: in der Lutherstadt Wittenberg, luthert es überall. Es luthert dermaßen, daß einem davon schwummerig werden kann. Zumindest wer die Luther-Süßigkeiten, die Luther-Rose in Schokolade und Marzipan, danach den Luther-Likör und das Luther-Bier probiert, dem dürfte schon bald ganz teuflisch übel werden.

Ich habe mich auf einen Luther-Kaffee und eine Luther-Schnecke beschränkt. Überraschenderweise war das danach aufgesuchte Örtchen nicht mit Luthers Namen verziert, sondern hieß schlicht mittelalterlich Latrine, sah von außen auch so alt aus, als hätte es da schon so zu Martinus Zeiten gestanden (und er womöglich drin). Kassiert wurde allerdings in Euro-Cents.

Danach habe ich auf dem Marktplatz noch schnell ein Foto vor der spiegelnden Weltkugel geschossen, die dort als Symbol für die weltweite Verbreitung der lutherschen Idee steht. Danach fühlte ich mich so beluthert daß ich mich aufs Rad schwang und aus der Stadt lutherte, tschuldigung: ich radelte.
Vorspiegelung: Marktplatz in Wittenberg mit Rathaus und Stadtkirche (und mir).

Liebe Wittenberger und Lutheraner: übertreibt es nicht mit dem Heroen Eurer Stadt und Eures Glaubens. Zwar war Martin Luther ein geschäftstüchtiger Mann, wie man liest, oder zumindest sein Käthchen war es, aber ich bezweifle, daß er besonders stolz wäre, wenn er im Jahr 2017 solch ein verluthertes Wittenberg sähe.

Samstag, 3. Juni 2017

Moderne Gefahren

Warnung an einer Bundestraße bei Coswig (Anhalt)
Waren das nicht in der Vergangenheit Raubüberfälle, die einem auf der Landstraße passieren konnten?

Auch dagegen konnte man leicht eine Allergie entwickeln.

Freitag, 2. Juni 2017

Existenzkampf

Bevölkerungsschwund durch Landflucht, die Attraktivität großer Einkaufzentren und zunehmende Mobilität machen kleinen Händlern und Handwerksbetrieben in Mitteldeutschland das Leben auf dem Land schwer.

Hier sind zwei Beispiele aus dem ehemaligen Residenzstädtchen Wettin an der Saale. Während ein Bäckereigeschäft im historischen Ortskern schon fast komplett zugemauert ist, versucht ein Handwerker am Ortsrand seine Existenz noch mit einem markigen - nach meinem Gefühl fast zu markigen - Spruch zu verteidigen.







Allein Apotheken scheinen auch im kleinsten Ort noch genügend Kunden zu haben. In mehreren Kleinstädten ist mir aufgefallen, daß Apotheken fein renoviert und herausgeputzt glänzen, während in der unmittelbaren Nachbarschaft Geschäfte aufgegeben und die Schaufenster leer sind, oft mit einem Vermiet- oder Verkaufsangebot im Fenster.

Donnerstag, 1. Juni 2017

"The same procedure" - Weltliteratur aus Thüringen

In all iherer Bescheidenheit und Zurückhaltung haben die Thüringer nur wenig Aufhebens davon gemacht, daß sie sowohl das Personal als auch den literarischen Stoff für das in Westeuropa wohl bekannteste Bühnenstück geliefert haben. Das Werk, von dem hier zu erzählen ist, hat mit seinem Bekanntheitsgrad und seiner Popularität vermutlich alle klassischen und modernen Stücke übertroffen und wird jedes Jahr wieder aufgeführt. Wenn sich die Thüringer dieser Leistung nicht allzusehr rühmen, mag das an der nicht eindeutig bewiesenen historischen Wahrhaftigkeit der Geschichte liegen.

Vertrauen wir hier mal dem verläßlichen Norddeutschen Rudolf Kinau, der einst in einem anderen Fall die Feststellung getroffen haben soll: "Wahr muß die Geschichte sein, sonst könnte man sie ja gar nicht erzählen." Und erzählt geht die Geschichte so:

Als im Jahr 2007 in Gotha das Winterpalais derer von Sachsen-Coburg-Altenburg teilweise abgerissen wurde, fand man in den alten Mauern bislang unbekannte Aufzeichnungen des persönlichen Dieners der Herzoginwitwe Sophie Karoline Amalie von Sachsen-Gotha-Altenburg (1776–1870).

Für diejenigen, die sich in Adelskreisen nicht so auskennen: die besagte Herzogin war die Großmutter von Prinz Albert, dem Gemahl der britischen Queen Victoria.

In den entdeckten Aufzeichnungen berichtet der Diener davon, daß die Witwe viele Jahre lang ihre Geburtstage mit einem Abendessen im Kreis ihrer vier ihrer engsten Freunde beging. Zu der erlauchten Runde gehörten ein Verleger (selbstverständlich der des "Gotha"-Adelskalenders), sowie ein Ex-Oberst mit Ritter-Titel, ein Kommerzienrat und ein Gymnasialprofessor.

Im Laufe der Zeit, so hatte der Diener notiert, verstarben die schon älteren Herren, so daß am Ende nur noch die Herzogin Sophie Karoline Amalie übrig blieb. Diese wollte aber nicht von der ihr liebgewordenen Tradition lassen und veranstaltete weiterhin ihre geselligen Abende, nur daß nun der Diener in die Rolle der abwesenden Freunde schlüpfen und diese vertreten mußte.

Prinzgemahl Albert, der als Lieblingsenkel seiner Großmutter häufiger in Gotha zu Gast war, muß von dieser Marotte der alten Dame gewußt und davon in England erzählt haben.

Erst um 1930 entdeckte der britische Theaterautor Laury Wylie diese Anekdote wieder, deren Herkunft inzwischen aber lange in Vergessenheit geraten war. Er machte daraus einen Sketch für das Variete, verzichtete jedoch mit Rücksicht auf das englische Königshaus auf historische Details. Er siedelte das Stück in einem englischen Landhaus an, beließ zwar der Jubilarin den Namen Sophie, machte aber aus ihren Gästen einen Sir Toby, einen Admiral von Schneider, einen Mister Pommeroy und einen Mister Winterbottom. Sie alle werden in dem Stück von dem englischen Butler James bedient - und gespielt.

Dank der entdeckten Notizen des wahren Dieners konnte im Jahr 2009 ermittelt werden, woher die Briten den Stoff für das inzwischen weltbekannte Stück "Dinner for One" hatten.

Wenngleich es inzwischen eine Vielzahl mundartlicher Nacherzählungen und Verfilmungen dieser Geschichte gibt, verfassten auch die Gothaer ihre Version in "Goth'sch" und führen die nun als die einzige authentische und originale Version alljährlich zu Silvester mit großem Erfolg in ihrem Theater auf. Sie waren sogar selbstbewußt genug, die englische Königin Elizabeth II. zu einem solchen Theaterabend einzuladen, bei dem die Ururururgroßmutter der Königin die Hauptrolle spielt. Gekommen ist die Monarchin allerdings bisher nicht, obwohl auch sie inzwischen ihren 90. Geburtstag gefeiert hat und sich vielleicht Anregungen holen könnte.