In all iherer Bescheidenheit und Zurückhaltung haben die Thüringer nur wenig Aufhebens davon gemacht, daß sie sowohl das Personal als auch den literarischen Stoff für das in Westeuropa wohl bekannteste Bühnenstück geliefert haben. Das Werk, von dem hier zu erzählen ist, hat mit seinem Bekanntheitsgrad und seiner Popularität vermutlich alle klassischen und modernen Stücke übertroffen und wird jedes Jahr wieder aufgeführt. Wenn sich die Thüringer dieser Leistung nicht allzusehr rühmen, mag das an der nicht eindeutig bewiesenen historischen Wahrhaftigkeit der Geschichte liegen.
Vertrauen wir hier mal dem verläßlichen Norddeutschen Rudolf Kinau, der einst in einem anderen Fall die Feststellung getroffen haben soll: "Wahr muß die Geschichte sein, sonst könnte man sie ja gar nicht erzählen." Und erzählt geht die Geschichte so:
Als im Jahr 2007 in Gotha das Winterpalais derer von Sachsen-Coburg-Altenburg teilweise abgerissen wurde, fand man in den alten Mauern bislang unbekannte Aufzeichnungen des persönlichen Dieners der Herzoginwitwe Sophie Karoline Amalie von Sachsen-Gotha-Altenburg (1776–1870).
Für diejenigen, die sich in Adelskreisen nicht so auskennen: die besagte Herzogin war die Großmutter von Prinz Albert, dem Gemahl der britischen Queen Victoria.
In den entdeckten Aufzeichnungen berichtet der Diener davon, daß die Witwe viele Jahre lang ihre Geburtstage mit einem Abendessen im Kreis ihrer vier ihrer engsten Freunde beging. Zu der erlauchten Runde gehörten ein Verleger (selbstverständlich der des "Gotha"-Adelskalenders), sowie ein Ex-Oberst mit Ritter-Titel, ein Kommerzienrat und ein Gymnasialprofessor.
Im Laufe der Zeit, so hatte der Diener notiert, verstarben die schon älteren Herren, so daß am Ende nur noch die Herzogin Sophie Karoline Amalie übrig blieb. Diese wollte aber nicht von der ihr liebgewordenen Tradition lassen und veranstaltete weiterhin ihre geselligen Abende, nur daß nun der Diener in die Rolle der abwesenden Freunde schlüpfen und diese vertreten mußte.
Prinzgemahl Albert, der als Lieblingsenkel seiner Großmutter häufiger in Gotha zu Gast war, muß von dieser Marotte der alten Dame gewußt und davon in England erzählt haben.
Erst um 1930 entdeckte der britische Theaterautor Laury Wylie diese Anekdote wieder, deren Herkunft inzwischen aber lange in Vergessenheit geraten war. Er machte daraus einen Sketch für das Variete, verzichtete jedoch mit Rücksicht auf das englische Königshaus auf historische Details. Er siedelte das Stück in einem englischen Landhaus an, beließ zwar der Jubilarin den Namen Sophie, machte aber aus ihren Gästen einen Sir Toby, einen Admiral von Schneider, einen Mister Pommeroy und einen Mister Winterbottom. Sie alle werden in dem Stück von dem englischen Butler James bedient - und gespielt.
Dank der entdeckten Notizen des wahren Dieners konnte im Jahr 2009 ermittelt werden, woher die Briten den Stoff für das inzwischen weltbekannte Stück "Dinner for One" hatten.
Wenngleich es inzwischen eine Vielzahl mundartlicher Nacherzählungen und Verfilmungen dieser Geschichte gibt, verfassten auch die Gothaer ihre Version in "Goth'sch" und führen die nun als die einzige authentische und originale Version alljährlich zu Silvester mit großem Erfolg in ihrem Theater auf. Sie waren sogar selbstbewußt genug, die englische Königin Elizabeth II. zu einem solchen Theaterabend einzuladen, bei dem die Ururururgroßmutter der Königin die Hauptrolle spielt. Gekommen ist die Monarchin allerdings bisher nicht, obwohl auch sie inzwischen ihren 90. Geburtstag gefeiert hat und sich vielleicht Anregungen holen könnte.