Für die meisten meiner Generation ist Dachau wahrscheinlich mehr Synonym für ein Konzentrationslager als der Name für eine Stadt. Bisher war ich nie dort gewesen, weder in der Stadt noch in der KZ-Gedenkstätte.
Auf der Fahrt dorthin machte ich eine Pause in Fürstenfeldbruck. Auch diesen Ort kenne ich eigentlich nicht, aber auch der Name wird mir stets mit einer Begebenheit während der 1972er Olympischen Spiele in München in Erinnerung bleiben. Soweit ich mich erinnere, scheiterte dort auf einem Flugplatz ein Befreiungsversuch für israelische Sportler, die von Palästinensern im Olympischen Dorf als Geiseln genommen worden waren. Ich mag mich in Details irren, aber ich habe diesen Vorfall jetzt absichtlich nicht eingehender nachgelesen, weil der hier nicht mein Thema sein soll.
Dachau ist sicher kein häßlicher Ort, und man kann dort, kaum zwanzig Kilometer nordwestlich von München, vermutlich gut leben. Es ist ungerecht für die heutigen Bewohner, daß der Name ihrer Heimatstadt immer noch automatisch mit der barbarischen Institution des Nazi-Regimes in Verbindung gebracht wird. Jedenfalls von mir.
Bei der Annäherung an die Gedenkstätte, durch nette Wohnviertel mit hübschen Häuschen radelnd, beschlich mich ein unangenehmes Gefühl der Banalität des Grauens. Die Gegend hatte 1933 wahrscheinlich nicht viel anders ausgesehen, als in der unmittelbaren Nachbarschaft in einer ehemaligen Munitionsfabrik der Prototyp der Nazi-Verfolgungs- und Vernichtungsmaschinerie entwickelt wurde.
Was ich bis zu meinem Besuch dort nicht wußte, war, daß es sich bei dem Konzentrationslager Dachau um die erste Einrichtung dieser Art handelte, und daß es das einzige KZ war, das bis zum Zusammenbruch des Regimes im Mai 1945 ununterbrochen alle zwölf Jahre während des ganzen "Tausendjährigen Reiches" existiert hat.
Das Lager war am 20. März 1933, nur 50 Tage nach der Machergreifung Hitlers, gleich vor den Toren Münchens eingerichtet worden, um dort mißliebige politische Gegner, besonders der politischen Linken und Sozialdemokraten, zu inhaftieren. Danach wurde das KZ Dachau zum Modell für weitere Lager entwickelt, die bald im gesamten Deutschen Reich eingerichtet wurden.
Im Konzentrationslager Dachau wurden über die gesamte Zeit des Bestehens etwa 200.000 Menschen festgehalten, wovon wahrscheinlich etwa 43.000 starben. Viele der Häftlinge wurden in Vernichtungslager des Regimes überstellt und starben dort.
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Mein Weg über die Gedenkstätte |
Was ich gelernt habe, und was mich immer noch empört, ist die Tatsache, daß es nach dem Ende der Barbarei, nach der Wiederbesinnung auf menschliche Werte und demokratische Regeln rund zwanzig Jahre dauerte, nämlich bis 1965, bis sich die Verantwortlichen der neuerstandenen Bundesrepublik Deutschland und des Freistaates Bayern darauf besannen, diesen Ort des Ursprungs aller Monstrosität und Menschenverachtung als Gedenkstätte einzurichten. Und auch das geschah zum größeren Teil auf die Initiative Überlebender des Konzentrationslagers, weniger auf Einsehen der politischen Klasse jener Zeit. Es scheint tatsächlich so, als hätten in den 1950er und -60er Jahren noch viele Ehemalige des vormaligen Regimes genügend Einfluß gehabt, diese ihre Vergangenheit lieber dem Vergessen zu überlassen.
Mit Beklemmung habe ich auch gesehen, daß die ehemaligen SS-Kasernen gleich neben der heutigen Gedenkstätte in der Gegenwart als Kaserne für die Bayrische Bereitschaftspolizei verwendet werden. Diese Kasernen waren ehemals Ausbildungs- und Drillstätte für den SS-Nachwuchs. Hier wurden die künftigen KZ-Aufseher und -Kommandanten in Unterdrückung, Peinigung und Vernichtung menschlichen Lebens unterwiesen. Das Konzentrationslager gleich nebenan war Übungsstätte für die Erziehung der damaligen Herrenmenschen-Elite.
Bei all der hier geäußerten Empörung, Entrüstung und Beklemmung bin ich mir nicht sicher, ob ich als junger Mann in der damaligen Zeit genügend Mumm und Verstand gehabt hätte, mich den Zeitläuften entgegen zu stellen...
Hoffentlich gelingt mir das heute, wenn die Situation es erfordert.
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