Auf einer Radtour kam ich zufällig nach Niederaltaich, einem kleinen Dorf mit einer Fähre über den Fluß, zwischen Deggendorf und Vilshofen an der Donau gelegen. Nahe des Fähranlegers gibt es einen Bereich, auf dem Wohnmobile geduldet werden, jeweils für kurze Zeit. Die schöne Lage direkt am Flußufer lud mich geradezu ein, mein Mobil für die Nacht dort zu parken.
Bei meinem Rundgang durch Niederaltaich fand ich ein altes, großes und wohl bedeutendes Benediktinerkloster, von dem ich vorher nie gehört hatte. Klöster an sich interessieren mich nicht so sehr, es sei denn sie bieten neben seelsorgerischen Angeboten auch Labung für den Leib, flüssige und feste. Damit hatte ich bei früheren Reisen schon im Kloster Weltenburg gute Erfahrungen gemacht, und gerade jüngst erst im Kloster Andechs.
Auch hier in Niederaltaich lud ein Klosterkrug zum Verweilen ein, und lockte mit dem Bier einer Klosterbrauerei und deftigen bayrischen Schmankerln. Meine Neugier führte mich aber zunächst in den Hof des Klosters. Dort entdeckte ich zu meiner Verwunderung das schön gestaltete Portal einer byzantinischen Kirche, die dem heiligen Bischof Nikolaus von Myra geweiht ist. Die Neugier verleitete mich, die Kirche zu betreten und dort fand ich mich gerade rechtzeitig bei der Vorbereitung des abendlichen Vesper-Gottesdienstes ein.
Der Kirchenraum war hoch und dunkel, nur erleuchtet von hunderten kleinen Kerzen. Als sich meine Augen langsam an das Dunkel gewöhnt hatten, war der Gottesdienst schon im Gang. Ich setzte mich in eine Ecke und versuchte, nicht aufzufallen. Ich bin nichts weniger als religiös, aber ich respektiere die Überzeugungen Andersdenkender, zumal wenn ich mich in deren Haus aufhalte. So war ich froh, nicht in Shorts in diese weihevolle Situation geplatzt zu sein, und ich stand auf, wenn es die anderen Gottesdienstbesucher taten, und setzte mich, wenn es die Liturgie anscheinend erlaubte.
Gebete, Bibel- und andere Texte wurden von vier Mönchen singend vorgetragen. Ich verstand so gut wie nichts davon, aber meinte Deutsch zu hören. Die Besucher nahmen schweigend an der Zeremonie teil und bekreuzten und verneigten sich zuweilen tief. Der Gottesdienst wurde von einem bärtigen Popen in seinem schwarzen Priestergewand samt zeremonieller Kopfbedeckung geleitet, der stets durch eine Tür auf der linken Seite einer mit Ikonen geschmückten Wand erschien, dann zu einer Öffnung in der Mitte der gleichen Wand sprach oder sang, mit dem Rücken zur Gemeinde, und schließlich durch eine Tür auf der rechten Seite der gleichen Wand wieder verschwand. Das wiederholte sich mehrmals: links herein, in der Mitte gebetet oder angebetet, rechts wieder hinaus.
Gegen Ende des etwa dreiviertelstündigen Gottesdienstes erschien der Priester, ein Weihrauchfaß schwenkend, mit dem er erst die Heiligenbilder im Saal mit einer guten Portion des würzigen Rauchs bedachte, und dann durch die Reihen gehend alle Anwesenden, mich eingeschlossen, beweihräucherte. Schließlich verschwand er wieder durch die rechte Tür, die mittlere Öffnung in der Ikonenwand wurde von innen mit einem Vorhang geschlossen, und damit war das Ende des Vespergottesdienstes signalisiert. Ich kann mich nicht erinnern, jemals in ganzer Länge bei einem römisch-katholischen Gottesdienst verweilt zu haben. Hier hatte ich solch ein Ereignis nach byzantinischem Ritus ohne erkennbare Auswirkungen auf meinen Seelenzustand erlebt. Der Leib war aber inzwischen noch hungriger und durstiger, die Einkehr in die Klosterschenke hatte ich mir redlich verdient.
Später las ich nach und erfuhr, daß das Kloster im Sinne einer ökomenischen Zielsetzung die Theologie und Frömmigkeit des Ostens bekannt zu machen sucht und darin einem Auftrag folgt, der den Benediktinern bereits 1924 von Papst Pius XI. zur Aufgabe gemacht wurde. Aus diesem Grund beten und leben ein Teil der Mönche in Niederaltaich nach dem römischen, ein anderer Teil nach dem byzantinischen Ritus. Die byzantinische Kirche im russischen oder griechischen Stil wurde erst 1986 in einen Teil des Klosters gebaut, der vorher die Klosterbrauerei gewesen war.
(Erst beim Hinausgehen sah ich im Eingangsbereich der Kirche die Aufforderung, während des Gottesdienstes nicht zu fotografieren oder zu filmen. Das ist eine beinahe überflüssige Ermahnung, denn die Finsternis in der Kirche macht jeden derartigen Versuch nahezu unmöglich. Und welcher Barbar wird während des Gottesdienstes einen Blitz benutzen?)
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