Donnerstag, 31. August 2017

Und noch 'ne Ruhmesstätte...

Auch wenn es hergesucht und konstruiert klingt, es ist wahr:
Als ich den oberen Teil des Gebäudes zuerst erblickte, hatte ich auf einem Parkplatz vor dem Bayreuther Bahnhof angehalten, um mich zu orientieren. Deshalb glaubte ich, in einiger Entfernung den Giebel eines Lokschuppens oder einer Wagenhalle der Bahn zu sehen. Das ist wirklich kein Scherz, und bitte verzeiht mir die Respektlosigkeit, die ich hier gleich offenbaren muß.

Da ich ohnehin schon in der Nähe vorbei kam, wollte ich ein weiteres berühmtes Bauwerk besichtigen, das mit Hilfe eines bayerischen  Königs entstand. Dieses Mal galt mein Interesse der Mitwirkung des Enkels des im vorigen Post erwähnten Ludwig I. von Bayern. Ludwig II. ist als Förderer der Künste und Eigentümer einer geradezu überbordenden Fantasie und Baulust in die Geschichte eingegangen und hat immer noch einen Platz im Herzen vieler Bayern als ihr "Kini".

Das Gebäude, das hier in Bayreuth mit einem großzügigen Kredit des Königs entstand, war ein Opernhaus, allein und exklusiv von seinen Protegé Richard Wagner geplant und nur für die Aufführung seiner eigenen Werke gedacht. Dieses von mir zunächst mißinterpretierte Bauwerk ist also eigentlich - und tatsächlich! - ein Lock-Schuppen und eine Wagner-Halle. Die Aufführungsstätte für Wagnersche Opern lockt noch heute, 141 Jahre nach ihrer Einweihung und 134 Jahre nach dem Tod des Komponisten, jeden Sommer tausende Musikliebhaber aus aller Welt zu den Bayreuther Festspielen und der Aufführung der zehn Hauptwerke des Meisters. Noch immer regiert auf dem "Grünen Hügel" in Bayreuth der Wagner-Clan das Festspielgeschehen, inzwischen in der dritten Generation nach dem Tod des Gründers dieses Familienbetriebes.


Ich bin kein besonderer Liebhaber und Kenner von Opern, auch nicht der Werke von Wagner. Meine Fähigkeit, den außerordentlich umfangreichen Tondichtungen aufmerksam zu lauschen, reicht nicht weit über die Ouvertüren oder - vom Meister Wagner so genannten - Vorspiele hinaus. Kürzlich hatte ich bei der Eröffnung der diesjährigen Festspiele die Gelegenheit, eine Live-Übertragung der "Meistersinger" im Radio zu hören. Sogar mit der Möglichkeit, dem Gesang durch Mitlesen des Librettos zu folgen, erlahmte meine Aufmerksamkeit nach zwei Stunden. Und das ganze Werk dauert dreieinhalb Stunden, die Erholungspausen zwischen den Aufzügen nicht mitgerechnet. An der Stelle wurde mir bewußt, welche Leiden beispielsweise eine Bundeskanzlerin zu ertragen hat, deren Präsenz bei solch einer Premiere erwartet wird.

Seit die Kaiser Wilhelm I. im Jahr 1876 und Wilhelm II. im Jahr 1889 die Eröffnung der Festspiele mit ihrer Gegenwart "geadelt" haben, ist es für Leute "von Stand" Brauch, Sitte und Verpflichtung, bei den Festspielen zu erscheinen. Nicht selten war in dieser Gesellschaftsklasse auch ein ausgeprägter Antijudaismus oder Antisemitismus anzutreffen, der mit der offen bekannten Haltung von Meister Wagner durchaus korrespondierte.

Diese Geisteshaltung Wagners hinsichtlich der Ablehnung von Juden kulminierte vor und während des Dritten Reichs, als sich die Familie Wagner den "Onkel Wolf" zum Freund machte - oder umgekehrt. Schon lange vor seiner Machergreifung im Jahr 1933 war Adolf Hitler häufiger und gern gesehener Gast auf dem Grünen Hügel und ließ sich im Kreis der Familie mit "Wolf" anreden. Die innigen Bande zwischen dem "Führer" und den Wagners führten 1936 sogar dazu, daß die Festspiele in Bayreuth während der Olympischen Spiele in Berlin unterbrochen wurden. "Onkel Wolf" fuhr mit seinem Sonderzug direkt aus Bayreuth zur Erföffnung der Spiele nach Berlin, und er kehrte nach dem Ende der Sportwettkämpfe zur Fortsetzung der Opernspiele nach Bayreuth zurück.

Die Nähe der Familie Wagner zum Naziregime hinterließ einen braunen Fleck auf dem Namen Wagner, seinen Werken und den Festspielen. In diesem Jahr 2017 mußte es der Komponist, vertreten durch eine von Arno Breker geschaffene Büste im Park vor dem Festspielhaus, nun erdulden, daß ihm die Tafeln einer Ausstellung zum Thema des Schicksals jüdischer Künstler im Zusammenhang mit den Bayreuther Festspielen direkt vor die Nase gestellt wurden.


Die Ausstellung "Verstummte Stimmen - Die Bayreuther Festspiele und die 'Juden' 1876 bis 1945" beschreibt die Vertreibung jüdischer Künstler aus deutschen Opernhäusern und Theatern. Zu diesem Bemühen, "deutsche Kultur" vor der "Zersetzung" zu retten, gilt Richard Wagner als einer der Stichwortgeber. Schon 1850 hatte er in einem Aufsatz gegen "Das Judenthum in der Musik" gehetzt. Die Ausstellung zeigt, wie seine Erben durch Diffamierung und Ausgrenzung jüdischer Künstler die Festspiele mißbraucht und damit der staatlichen Verfolgung im Dritten Reich den Boden bereitet haben.

Montag, 28. August 2017

Über 358 Stufen zur Stätte ewigen Ruhms

An einem der heißesten Tage des Jahres habe ich mich unter praller Sonne auf den Weg gemacht, für einen Lorbeerkranz hat es dennoch nicht gereicht.

Wer ein wenig östlich von Regensburg von der Donau heraufkommend die Treppen des gewaltigen Sockels erklimmt, erreicht ein Kuriosum, das weithin sichtbar eine Biegung des Flusses überragt:

Ein gewaltiger Ruhmestempel in griechischem Stil, für den der Parthenon auf der Akropolis in Athen Vorbild ist, beherrscht das Landschaftsbild. Ausgeführt in weißem Kalkstein, umgeben von 52 dorischen Säulen, errrichtet auf Veranlassung des Bayernkönigs Ludwig I. in den Jahren 1830 bis 1844, ist der monumentale Bau gedacht als Aufbewahrungsort für Büsten und Gedenktafeln bedeutender Persönlichkeiten "teutscher Zunge". Benannt ist der pseudo-hellenistische Prunkbau nach Walhall, der Ehrenhalle für die Gefallenen aus der nordischen Mythologie. Mit anderen Worten: hier hat sich der König von Bayern mit Anleihen aus der Antike und von den Germanen, und vermutlich aus der Staatskasse, für vier Millionen Gulden ein Denkmal setzen lassen, um die von ihm als "große Deutsche" erachteten Persönlichkeiten und wichtigen Ereignissen der germanischen Geschichte zu ehren.

Das ging natürlich nicht immer ohne Meinungsunterschiede hinsichtlich der Bedeutung der Persönlichkeiten, und darüber, wer in den Kreis der Erlauchten aufgenommen gehörte, und wer nicht. Während König Ludwig die ursprüngliche Auswahl traf, entscheidet heute der bayerischen Ministerrat darüber, wer als nächster in das marmorne Panoptikum aufgenommen zu werden verdient.

Heinrich Heine

Bei dem "jüngsten" Neuzugang handelt es sich sogar um einen Heroen, der sich womöglich noch aus dem Grab gegen diese Ehre zur Wehr setzen würde, wenn er könnte. Die Büste des Dichters Heinrich Heine wurde der Sammlung 2010 als 130. Marmorkopf hinzugefügt, ungeachtet der Tatsache, daß er zu Lebzeiten einer der eifrigsten Lästerer und Kritiker dieser "marmornen Schädelstätte" war.

Jetzt bleiben nach dem offiziellen Aufstellungsplan nur noch vier freie Plätze übrig. Sollte dann wirklich die Sammlung wichtiger Deutscher komplett sein und geschlossen werden?

Hier kann doch die deutsche Geschichte nicht enden!
Ein neuer bayerischer König muß her - und ein Anbau!

Einmal im Leben fast auf Augenhöhe mit den Größten:
Hier mit Gneisenau, Goethe und Luther

Montag, 21. August 2017

Noch ist sie da: Österreichs größte Pfütze

Am Hafen von Podersdorf auf der Ostseite des Neusiedler Sees

Am südöstlichsten Punkt meiner diesjährigen Reise angekommen, habe ich ich nachgesehen, und das Wasser noch gefunden.

Zwar ist der Neusiedler See gegenwärtig mit 320 Quadratkilometern bei einer Länge von rund 34 Kilometern und einer Breite zwischen fünf und acht Kilometern der größte See Österreichs, aber ob das morgen noch so ist, kann man bei dem Gewässer mit letzter Bestimmtheit nicht wirklich sagen. Zum einen, weil knapp ein Drittel des Sees zu Ungarn gehört, und zum anderen, weil dieser See in der Geschichte mal da war, und dann auch wieder fast nicht.

Eigentlich ist der See die Rest-Pfütze eines urzeitlichen Meeres, vereinfacht gesprochen. Als dieses sich während der Entstehung der Alpen nach Süden zurückzog, blieb ein Binnengewässer, das immer weiter austrocknete und verlandete. Schließlich blieb der seichte See, der kaum zwei Meter tief ist und keinen natürlichen Abfluß hat. In gewöhnlichen Sommern schaffen die wenigen Zuflüsse es nicht, die Verdunstung des Wassers auszugleichen. Dazu kommt, daß das Sumpfland vor allem am westlichen Ufer des Sees immer mehr mit Schilf zuwächst.

Wein bei Breitenbrunn
(Neusiedler See)
So hat es bis ins 20. Jahrhundert hinein Epochen gegeben, in denen der See fast gänzlich verschwunden war. Zeitweise war die Austrocknung so weit fortgeschritten, daß der Seeboden für Reispflanzungen genutzt wurde, und es gab sogar Pläne, den See gänzlich in Ackerland zu verwandeln. Dann wieder stieg der Pegel des Sees so hoch, daß Dörfer am Ufer teilweise überflutet wurden.

Inzwischen soll es Prognosen geben, die eine gänzliche Austrocknung des Sees bis 2050 voraussagen. So ist es nur zu gut zu verstehen, wenn das Gewässer im Sommer reichlich von Seglern, Windsurfern und Bootssportlern und im Winter zum Eislaufen genutzt wird. Schiffsausflüge sind beliebt, und Fahrradtouren rund um den See.

Genießt das Wasser, solange es noch da ist!

Donnerstag, 17. August 2017

Über die dunkle Seite des Tourismus

Venedig, Florenz, Prag, Rothenburg, Rüdesheim, Dürnstein, Mont St. Michel, Salzburg,  - alle diese Orte und noch viele mehr haben eine Krankheit gemein (um nicht zu sagen die Pest), zu deren Ursache auch ich gehöre. Wo immer Touristen auftauchen, hinterlassen sie einen Ort verändert. Treten die auswärtigen Gäste in großer Zahl im Verhältnis zur angestammten Bevölkerung auf, können sie einen Ort bis zur Unkenntlichkeit umkrempeln. Aus einem funktionierenden landestypischen sozialen Organismus kann ein Markplatz zum Abkassieren von Reisenden werden.

Solch einen Fall habe ich jüngst mit einiger Traurigkeit besucht und erlebt:


Český Krumlov oder mit ihrem deutschen Namen Krumau oder auch Böhmisch Krumau ist eine reizvolle Kleinstadt im tschechischen Südböhmen. Der kleine Ort hat alles, was ein attraktives touristisches Ziel ausmacht, womöglich zu viel davon. Die historische Altstadt fügt sich auf reizvolle Weise in eine Flussschleife der Moldau. Der Ort verfügt über alle Attribute, die zu einem Besuch reizen: eine Burg, ein Schloss, Kirchen, Museen, enge romantische Gassen zwischen alten Häusern, einen ansehnlichen Marktplatz. Das alles hat seinen Ursprung im 16. Jahrhundert und sogar noch früher, und ist bis heute nahezu unverändert erhalten. Das alles hat sich weltweit herumgesprochen.

Heute ist die Stadt von Menschenmassen bevölkert, die von überall herkommen, am wenigsten aber aus Krumau. Die Trauben von Touristen, die sich aus den Bussen ergießen, palavern in allen Weltsprachen, und die meisten davon in asiatischen Idiomen. Dementsprechend hat sich die Wirtschaft des Ortes auf die Besucher eingerichtet: unzählige Restaurants reihen sich an noch mehr Andenkenläden, Juweliergeschäfte bieten landestypische Produkte ebenso an wie Keramikläden und Kunsthandlungen. Der Rest der Häuser ist von Hotels und Pensionen belegt.

Die Stadt hat ihren alten und ursprünglichenn Charakter ganz und gar eingebüßt. Das gewöhnliche Alltagsleben einer Kleinstadt gibt es nicht mehr. Wollte ein Krumauer heute ein Päckchen Butter oder einen Hammer und Nägel kaufen, muß er vermutlich hinaus an den Stadtrand gehen.

Sogar Einheimische beginnen schon über die Flutwelle von Touristen zu klagen, die sich über ihren Ort ergießt. Ich hörte, wie sich eine junge Serviererin in einem Restaurant bei englischen Gästen über die Menge von asiatischen Gästen beklagte. Daß am Nebentisch ein vermutlich japanisches Paar zuhören konnte, schien die junge Frau nicht zu beunruhigen. Darauf angesprochen sagte die Bedienung zu mir, daß die Asiaten sowieso selten Englisch verstünden, und versicherte obendrein, sie sei keine Rassistin.

Als kleinen Schabernack habe ich bei verschiedenen Gelegenheiten in Geschäften und Restaurants die Bemerkung hinterlassen, die Chinesen kämen ohnehin nur, um alles zu fotografieren und dann daheim eine Kopie von Krumau zu bauen. Für gänzlich undenkbar halte ich das tatsächlich nicht, so begeistert wie sich die Besucher aus dem fernen Osten zeigen. Die inzwischen offenbar zu einigem Wohlstand gekommenen Bürger aus dem Reich der Mitte schicken inzwischen sogar schon ihre Kinder auf Touren durch Europa, damit sie den alten Kontinent kennen lernen. Wohin diese Mädchen und Jungen in ein paar Jahren noch reisen möchten, ist nicht so recht vorstellbar. Sie kennen doch schon beinahe alles.

Kindergruppe aus Shanghai, zum Foto aufgestellt auf dem Marktplatz von Český Krumlov

Samstag, 12. August 2017

Bundestagswahl - meine persönliche Prognose

Seit vielen Jahren bin ich zu Zeiten von Bundestagswahlen nicht in Deutschland gewesen. In diesem Jahr soll in knapp sechs Wochen gewählt werden, und ich habe bisher kaum Wahlwerbung gesehen. Es scheint beinahe so, als wäre der Ausgang der Wahl schon entschieden und alles bliebe, wie es ist.

Dieses Wahlplakat in Passau hat mich zu einer ganz persönlichen Interpretation verleitet:

Die Kanzlerin muß als "Allgemeine Gefahrenstelle" verstanden werden. Das Stimmergebnis wird für sie bei etwa 30 Prozent liegen, mit einem Abwärtstrend nach links. Ob der Bauzaun sie nun schützen soll, oder ob sie hinter Gitter gehört, das ist noch nicht ausgemacht.

Freitag, 11. August 2017

Byzantinische Vesper statt bayrischer Brotzeit

Auf einer Radtour kam ich zufällig nach Niederaltaich, einem kleinen Dorf mit einer Fähre über den Fluß, zwischen Deggendorf und Vilshofen an der Donau gelegen. Nahe des Fähranlegers gibt es einen Bereich, auf dem Wohnmobile geduldet werden, jeweils für kurze Zeit. Die schöne Lage direkt am Flußufer lud mich geradezu ein, mein Mobil für die Nacht dort zu parken.

Bei meinem Rundgang durch Niederaltaich fand ich ein altes, großes und wohl bedeutendes Benediktinerkloster, von dem ich vorher nie gehört hatte. Klöster an sich interessieren mich nicht so sehr, es sei denn sie bieten neben seelsorgerischen Angeboten auch Labung für den Leib, flüssige und feste. Damit hatte ich bei früheren Reisen schon im Kloster Weltenburg gute Erfahrungen gemacht, und gerade jüngst erst im Kloster Andechs.

Auch hier in Niederaltaich lud ein Klosterkrug zum Verweilen ein, und lockte mit dem Bier einer Klosterbrauerei und deftigen bayrischen Schmankerln. Meine Neugier führte mich aber zunächst in den Hof des Klosters. Dort entdeckte ich zu meiner Verwunderung das schön gestaltete Portal einer byzantinischen Kirche, die dem heiligen Bischof Nikolaus von Myra geweiht ist. Die Neugier verleitete mich, die Kirche zu betreten und dort fand ich mich gerade rechtzeitig bei der Vorbereitung des abendlichen Vesper-Gottesdienstes ein.


Der Kirchenraum war hoch und dunkel, nur erleuchtet von hunderten kleinen Kerzen. Als sich meine Augen langsam an das Dunkel gewöhnt hatten, war der Gottesdienst schon im Gang. Ich setzte mich in eine Ecke und versuchte, nicht aufzufallen. Ich bin nichts weniger als religiös, aber ich respektiere die Überzeugungen Andersdenkender, zumal wenn ich mich in deren Haus aufhalte. So war ich froh, nicht in Shorts in diese weihevolle Situation geplatzt zu sein, und ich stand auf, wenn es die anderen Gottesdienstbesucher taten, und setzte mich, wenn es die Liturgie anscheinend erlaubte.

Gebete, Bibel- und andere Texte wurden von vier Mönchen singend vorgetragen. Ich verstand so gut wie nichts davon, aber meinte Deutsch zu hören. Die Besucher nahmen schweigend an der Zeremonie teil und bekreuzten und verneigten sich zuweilen tief. Der Gottesdienst wurde von einem bärtigen Popen in seinem schwarzen Priestergewand samt zeremonieller Kopfbedeckung geleitet, der stets durch eine Tür auf der linken Seite einer mit Ikonen geschmückten Wand erschien, dann zu einer Öffnung in der Mitte der gleichen Wand sprach oder sang, mit dem Rücken zur Gemeinde, und schließlich durch eine Tür auf der rechten Seite der gleichen Wand wieder verschwand. Das wiederholte sich mehrmals: links herein, in der Mitte gebetet oder angebetet, rechts wieder hinaus.

Gegen Ende des etwa dreiviertelstündigen Gottesdienstes erschien der Priester, ein Weihrauchfaß schwenkend, mit dem er erst die Heiligenbilder im Saal mit einer guten Portion des würzigen Rauchs bedachte, und dann durch die Reihen gehend alle Anwesenden, mich eingeschlossen, beweihräucherte. Schließlich verschwand er wieder durch die rechte Tür, die mittlere Öffnung in der Ikonenwand wurde von innen mit einem Vorhang geschlossen, und damit war das Ende des Vespergottesdienstes signalisiert. Ich kann mich nicht erinnern, jemals in ganzer Länge bei einem römisch-katholischen Gottesdienst verweilt zu haben. Hier hatte ich solch ein Ereignis nach byzantinischem Ritus ohne erkennbare Auswirkungen auf meinen Seelenzustand erlebt. Der Leib war aber inzwischen noch hungriger und durstiger, die Einkehr in die Klosterschenke hatte ich mir redlich verdient.

Später las ich nach und erfuhr, daß das Kloster im Sinne einer ökomenischen Zielsetzung die Theologie und Frömmigkeit des Ostens bekannt zu machen sucht und darin einem Auftrag folgt, der den Benediktinern bereits 1924 von Papst Pius XI. zur Aufgabe gemacht wurde. Aus diesem Grund beten und leben ein Teil der Mönche in Niederaltaich nach dem römischen, ein anderer Teil nach dem byzantinischen Ritus. Die byzantinische Kirche im russischen oder griechischen Stil wurde erst 1986 in einen Teil des Klosters gebaut, der vorher die Klosterbrauerei gewesen war.

(Erst beim Hinausgehen sah ich im Eingangsbereich der Kirche die Aufforderung, während des Gottesdienstes nicht zu fotografieren oder zu filmen. Das ist eine beinahe überflüssige Ermahnung, denn die Finsternis in der Kirche macht jeden derartigen Versuch nahezu unmöglich. Und welcher Barbar wird während des Gottesdienstes einen Blitz benutzen?)

Donnerstag, 10. August 2017

Einverstanden

SPIEGEL Online am 10.08.2017
Niemals hätte ich geglaubt, daß ich mit der nordkoreanischen Militärführung einmal einer Meinung sein könnte, der diese Aussage zugeschrieben wird.
Aber es ist nun einmal so.

Mittwoch, 9. August 2017

Dachau


Für die meisten meiner Generation ist Dachau wahrscheinlich mehr Synonym für ein Konzentrationslager als der Name für eine Stadt. Bisher war ich nie dort gewesen, weder in der Stadt noch in der KZ-Gedenkstätte.

Auf der Fahrt dorthin machte ich eine Pause in Fürstenfeldbruck. Auch diesen Ort kenne ich eigentlich nicht, aber auch der Name wird mir stets mit einer Begebenheit während der 1972er Olympischen Spiele in München in Erinnerung bleiben. Soweit ich mich erinnere, scheiterte dort auf einem Flugplatz ein Befreiungsversuch für israelische Sportler, die von Palästinensern im Olympischen Dorf als Geiseln genommen worden waren. Ich mag mich in Details irren, aber ich habe diesen Vorfall jetzt absichtlich nicht eingehender nachgelesen, weil der hier nicht mein Thema sein soll.

Dachau ist sicher kein häßlicher Ort, und man kann dort, kaum zwanzig Kilometer nordwestlich von München, vermutlich gut leben. Es ist ungerecht für die heutigen Bewohner, daß der Name ihrer Heimatstadt immer noch automatisch mit der barbarischen Institution des Nazi-Regimes in Verbindung gebracht wird. Jedenfalls von mir.

Bei der Annäherung an die Gedenkstätte, durch nette Wohnviertel mit hübschen Häuschen radelnd, beschlich mich ein unangenehmes Gefühl der Banalität des Grauens. Die Gegend hatte 1933 wahrscheinlich nicht viel anders ausgesehen, als in der unmittelbaren Nachbarschaft in einer ehemaligen Munitionsfabrik der Prototyp der Nazi-Verfolgungs- und Vernichtungsmaschinerie entwickelt wurde.

Was ich bis zu meinem Besuch dort nicht wußte, war, daß es sich bei dem Konzentrationslager Dachau um die erste Einrichtung dieser Art handelte, und daß es das einzige KZ war, das bis zum Zusammenbruch des Regimes im Mai 1945 ununterbrochen alle zwölf Jahre während des ganzen "Tausendjährigen Reiches" existiert hat.

Das Lager war am 20. März 1933, nur 50 Tage nach der Machergreifung Hitlers, gleich vor den Toren Münchens eingerichtet worden, um dort mißliebige politische Gegner, besonders der politischen Linken und Sozialdemokraten, zu inhaftieren. Danach wurde das KZ Dachau zum Modell für weitere Lager entwickelt, die bald im gesamten Deutschen Reich eingerichtet wurden.

Im Konzentrationslager Dachau wurden über die gesamte Zeit des Bestehens etwa 200.000 Menschen festgehalten, wovon wahrscheinlich etwa 43.000 starben. Viele der Häftlinge wurden in Vernichtungslager des Regimes überstellt und starben dort.

Mein Weg über die Gedenkstätte
Ich habe bei meinem Besuch in der Gedenkstätte solche und ein paar weitere Einzelheiten gelernt, die mir vorher nicht bekannt waren. Dies war bei weitem nicht mein erster Besuch in Gedenkstätten der Gewaltherrschaft zwischen 1933 und 1945, und auch nicht derjenige, der mich am meisten beeindruckt hat (das geschah mir vor vielen Jahren in Theresienstadt, dem heutigen Terezín in Böhmen). Wie viele andere solcher ehemaligen Stätten von Unmenschlichkeit und Grausamkeit kann auch die Gedenkstätte Dachau heute in ihrer musealen Geschniegeltheit kaum noch einen Eindruck der damaligen Barbarei vermitteln.

Was ich gelernt habe, und was mich immer noch empört, ist die Tatsache, daß es nach dem Ende der Barbarei, nach der Wiederbesinnung auf menschliche Werte und demokratische Regeln rund zwanzig Jahre dauerte, nämlich bis 1965, bis sich die Verantwortlichen der neuerstandenen Bundesrepublik Deutschland und des Freistaates Bayern darauf besannen, diesen Ort des Ursprungs aller Monstrosität und Menschenverachtung als Gedenkstätte einzurichten. Und auch das geschah zum größeren Teil auf die Initiative Überlebender des Konzentrationslagers, weniger auf Einsehen der politischen Klasse jener Zeit. Es scheint tatsächlich so, als hätten in den 1950er und -60er Jahren noch viele Ehemalige des vormaligen Regimes genügend Einfluß gehabt, diese ihre Vergangenheit lieber dem Vergessen zu überlassen.

Mit Beklemmung habe ich auch gesehen, daß die ehemaligen SS-Kasernen gleich neben der heutigen Gedenkstätte in der Gegenwart als Kaserne für die Bayrische Bereitschaftspolizei verwendet werden. Diese Kasernen waren ehemals Ausbildungs- und Drillstätte für den SS-Nachwuchs. Hier wurden die künftigen KZ-Aufseher und -Kommandanten in Unterdrückung, Peinigung und Vernichtung menschlichen Lebens  unterwiesen. Das Konzentrationslager gleich nebenan war Übungsstätte für die Erziehung der damaligen Herrenmenschen-Elite.

Bei all der hier geäußerten Empörung, Entrüstung und Beklemmung bin ich mir nicht sicher, ob ich als junger Mann in der damaligen Zeit genügend Mumm und Verstand gehabt hätte, mich den Zeitläuften entgegen zu stellen...

Hoffentlich gelingt mir das heute, wenn die Situation es erfordert.

Montag, 7. August 2017

Unfromme Gedanken beim Andechser Doppelbock

Eines der berühmtesten Ziele für Wallfahrten in Bayern ist das Kloster Andechs. Die wenigsten Besucher kommen für religiöse Einkehr oder um den "Heiligen Schatz" zu verehren. Vielmehr hat das Andechser Bier einen ausgezeichneten Ruf und es kommt in seiner Version als Doppelbock mit einer berauschenden Wirkung, die religiöser Ekstase womöglich schon nahe ist. Von der jährlichen Produktion von weit über 100.000 Hektoliter Bier aus der klostereigenen Brauerei werden rund fünf Prozent in der Klosterschenke an die Pilger zum "Heiligen Berg Bayerns" ausgeschenkt.

Das Kloster Andechs auf der Ostseite des Ammersees ist heute ein bedeutendes Wirtschaftsunternehmen, das seinen Ursprung in einer Burgkapelle hat, zu der bereits seit 1128 Wallfahrten bekannt sind. Der Historie zufolge hatte Graf Hasso von Andechs-Meranien im 10. Jahrhundert aus Jesrusalem Reliquien mitgebracht, zu denen Partikel vom Kreuz Jesu, ein Stück aus seiner Dornenkrone, ein Teil des Gürtels Mariens und das Tuch gehört, in das die Gottesmutter nach ihrem Tod gehüllt war. Zusammen mit dem "Siegeskreuz Karls des Großen" bildeten diese Objekte den Grundstock für den "Heiligen Schatz".
Und es wird auch davon berichtet, daß ein Teil des Schatzes das "Sanctum praeputium", die Vorhaut Jesu gewesen sei.

Wie es scheint, war Graf Hasso (+954) ein besonders (gut-)gläubiger Genosse seiner Zeit, der sich auf den Basaren im Heiligen Land allerhand Tand aufschwatzen ließ. Dennoch sollte sich die Investition zweihundert Jahre später als rentabler Grundstock für ein heute florierendes Glaubens-Unternehmen erweisen.

Unzweifelhaft war der Knabe Jesus ein Jude, und vermutlich wurde er am achten Tag seines Lebens beschnitten. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Vorhaut des Pflegesohns eines armen Zimmermanns nach der Beschneidung nicht in der Erde verscharrt, sondern entgegen den jüdischen Regeln in Öl eingelegt und aufbewahrt wurde, dürfte sehr gering sein. Daran darf glauben wer will.

Nach Auffassung der katholischen Kirche ist Jesus mit seinem Körper "in einem Stück" zum Himmel aufgefahren. Von seinem Leib könnten auf der Erde also nur die Nabelschnur, seine Milchzähne, abgeschnittene Finger- und Zehennägel, sowie die bei der Beschneidung abgetrennte Vorhaut übrig geblieben sein. All diese Objekte wären Reliquien "erster Qualität", wenn sie denn existierten und ihre Echtheit zu beweisen wäre. Hilfsweise genügt auch, an die Echtheit zu glauben.

Solchen Glauben machten sich zeitweise mehr als vierzig Orte vornehmlich in Europa zu Nutze, unter ihnen Andechs und Hildesheim, die von sich behaupteten, die Vorhaut Jesu oder zumindest Teile davon aufzubewahren. Besonders überzeugend gelang das im zwölften Jahrhundert Antwerpen und Rom, die in erbitterter Konkurrenz um die Echtheit des Zipfels des Herrn stritten.

In der Folge mannigfaltiger Kriegswirren, der Reformation und der Französischen Revolution verlieren sich die Spuren der heiligen Vorhaut. Auch in Andechs wurde seit dem Mittelalter nicht mehr von dieser allerheiligsten aller Reliquien gesprochen.

Einzig das römische Exemplar scheint Spuren bis in das 20. Jahrhundert hinterlassen zu haben. Nach dieser Version soll das "Ringlein" mit seinem Reliquiar im Jahr 1527 nach der Erstürmung Roms mit einem deutschen Legionär in die kleine italienische Stadt Calcata gekommen sein. Seither wurde es in der Pfarrkirche des Ortes aufbewahrt und bis 1983 bei öffentlichen Prozessionen gezeigt. Im gleichen Jahr verschwand die Reliquie unter ungeklärten Umständen.

Es ranken sich verschiedene Theorien um das Verschwinden. Es wird sogar angenommen, der Vatikan selbst habe sich des inzwischen als unzeitgemäß angesehenen Objekts der Verehrung entledigen wollen.

Bei der Durchsicht verschiedener Publikationen zu diesem Thema stieß ich auf zwei besonders interessante Veröffentlichungen:

Der eine Autor erwähnt die Möglichkeit, die katholische Kirche wollte angesichts der rasanten Entwicklung der Biotechnologie die Gefahr beseitigen, daß Wissenschaftler eines Tages versuchen könnten, DNA aus dem Hautschnipsel zu isolieren und damit die Familienzugehörigkeit des Erlösers bis in die Gegenwart zu verfolgen, oder gar den Versuch wagen könnten, Jesus Christus zu klonen. Tatsächlich könnten beide Möglichkeiten katastrophale Folgen für das Christentum haben, gleich ob die Reliquie nun echt wäre oder nicht.

Der andere Autor hat das Verschwinden des heiligen Präputium als Satiriker verarbeitet. Nach seiner Version hat jemand den vertrockneten Schnipsel bei ebay erstanden, um ihn seiner religiösen Mutter zu Ostern zu schenken. Wie die Geschichte ausgeht, will ich hier nicht vorwegnehmen. Lest selbst:
http://www.satire-clips.de/reliquien-die-heilige-vorhaut/1037/


Sonntag, 6. August 2017

Sonntagsimpressionen vor dem Ulmer Münster

Lichtbildner wohin man sieht.


Man könnte sich fragen, wie es der Fotoindustrie ergangen wäre, wenn dort jemand auf die Idee gekommen wäre, die Fotoapparate auch mit einem Telefon auszurüsten.


Manche Smartphone-Besitzer geben sich angesichts der ungeheuren Höhe des
Münsters sichtbar Mühe, das Gebäude ganz aufs Bild zu bekommen.

Freitag, 4. August 2017

... da haben wir den Salat!



Salate von der Insel Reichenau, in Reih und Glied angetreten, wie die Soldaten bei einer Parade. Tatsächlich verteidigen sie hier das Recht, sich und andere Produkte der fruchtbaren Bodenseeinsel mit einer von der EU geschützten Herkunftsbezeichnung schmücken zu dürfen. Die Insel ist nicht nur fruchtbar, sondern liegt auch in einem besonders günstigen Klimabereich, der bis zu drei Ernten im Jahr möglich macht.

Rührt Euch ... nicht!

Mittwoch, 2. August 2017

Rast am Rhein bei N47°35,23' und E007°53,37'


Heute habe ich den südwestlichsten Punkt der für dieses Jahr geplanten Reise in Europa erreicht. Rund 25 Kilometer östlich von Basel und 15 Kilometer westlich von Bad Säckingen, gegenüber Schloss Schwörstadt (Bildhintergrund), habe ich auf dem Schweizer Rheinufer eine Pause gemacht und - Schweizer Präzision nachahmend - nachgerechnet. Bis zu dieser Stelle bin ich in diesem Jahr seit Mai in etwas weniger als drei Monaten genau 1499,4 Kilometer mit dem Rad gefahren. So sagt jedenfalls mein Logger. Und dabei fehlen sogar noch ein paar -zig Kilometer, die ich einfach zu loggen vergessen habe.

Von jetzt an geht es erst einmal eine Weile nur in östlicher Richtung. In der vierten Augustwoche bin ich mit lieben Freunden in Wien verabredet...