Mittwoch, 20. September 2017

Einen Vogel haben sie alle...

 ... aber nicht irgendeinen. Für die Adeligen, für Reiche, Provinzen und Städte mußte es selbstverständlich stets ein Adler sein.



Das Neustädter Tor in Tangermünde stammt in seinen Ursprüngen aus dem 14. Jahrhundert. Es ist Teil der noch weitgehend erhaltenen Stadtbefestigung der Hansestadt an der Elbe. Das Bauwerk ist gleich mit fünf Adlern geschmückt. Die Bilder mit den fünf verschiedenen Wappenvögeln zeigen den

 Preußischer Königsadler









Reichsadler des Bismarckreiches von 1871 mit aufgelegtem Hohenzollernschild








Tangermünder Adler









Adler des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation bis 1410








Brandenburgischer Adler.









Dieser eitle Vogel mit Szepter und Krone gehört eigentlich nicht in diese Reihe. Er weist darauf hin, daß die örtliche Apotheke bereits seit 1494 mit einem königlichen Privileg zum Mischen heilsamer Ingredienzen ausgestattet ist.

Sonntag, 17. September 2017

Diesen Platz wollte ich auch noch sehen


Die Adresse Am Großen Wannsee 56-58 weist auf ein "besseres" Wohngebiet in Berlin hin, auf das beste genau genommen. Das Haus - eine luxuriöse Villa - liegt einladend in einem gepflegten Park im Westen der Hauptstadt. Auf der Rückseite grenzt das Anwesen ans Wasser. Die großbürgerliche Villa war ursprünglich für einen Fabrikanten gebaut worden. Eine schönere Wohnlage mit eleganteren Nachbarn, eine mit mehr Prestige läßt sich in Berlin kaum finden.

Während die Gartendekoration der menschlichen Schönheit und dem Leben huldigt, wurde in diesem Hause in dem Salon links unten eines der monströsesten Verbrechen aller Zeiten beschlossen.
Dieser Ort steht als das Synonym für den Ort, an dem in nur 85 Minuten das sorgfältig geplante gößte Verbrechen Nazi-Deutschlands in bürokratische Formen gegossen wurde. Am 20.Januar 1942 trafen sich hier fünfzehn hochrangige Vertreter der nationalsozialistischen Reichsregierung und von SS-Behörden, um den bereits begonnenen und beschlossenen Holocaust und die Vernichtung aller Juden Europas zu organisieren und zu koordinieren. Die hier vereinbarte "Endlösung der Judenfrage" ist später als "Wannseekonferenz" in die Geschichte eingegangen.

Dauerausstellung in exakt dem Raum, in dem der Konferenztisch stand, an dem über das Schicksal von Millionen Menschenleben entschieden wurde.
Das einstige Gästehaus der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdiestes ist seit 1992 eine Gedenkstätte für den Holocaust und den größten Massenmord in der Geschichte.

Wie meist an solchen Orten ist das Ausmaß der hier beratenen und beschlossenen Barbarei nicht mit dem Verstand zu fassen.

Samstag, 16. September 2017

Das "chilling" kann auch zum Frösteln werden - und nicht nur, weil es Herbst wird

Trotz und gerade wegen aller Erlebnisse mit jüdischem Zusammenhang wurde mir in den vergangenen Wochen klar, wie wenig ich tatsächlich weiß über Juden, ihre Religion, ihre Sitten und Gewohnheiten, ihre Geschichte, ihre Verfolgung und Vernichtung - und überhaupt über alles, was Juden und das Judentum betrifft. Ich wußte nicht einmal genau, was Antisemitismus bedeutet, und wie sich der von Antijudaismus unterscheidet.

Ich begann also zu lesen, soweit das möglich ist, wenn einer so unterwegs ist wie ich. Dabei kam mir das Wetter zu Hilfe, das in den vergangenen Wochen deutlich herbstlich wurde, mit Regen und kühleren Temperaturen, was Außenaktivitäten bremste. Im Internet ist eine unübersehbare Fülle von Literatur von und über Juden zu finden, einiges davon ist auch online verfügbar oder kann sogar heruntergeladen werden.

Bei meinem Versuch, mir einen ersten Überblick zu verschaffen, hat mir das Buch "Jüdische Kultur und Geschichte" von Peter Ortag sehr geholfen. Das Buch steht kostenlos bei der Brandenburgischen Zentrale für politische Bildung zum Herunterladen als PDF (etwa 1,6 MB) zur Verfügung. Hier ist der Link:
http://www.politische-bildung-brandenburg.de/sites/default/files/downloads/juedische_kultur_und_geschichte.pdf

Bei der Lektüre fand ich dann eine Chronologie der Judenverfolgung und -vernichtung durch die Nazis in der Zeit von 1933 bis 1945, die mich sehr entsetzt hat. Wir alle haben von Konzentrationslagern, von der Reichspogromnacht im November 1938 und von Auschwitz gehört. Das sind aber "nur" die weltweit bekannten Kulminationspunkte des Nazi-Terrors. Mir war kaum bekannt, wie sehr die Maßnahmen gegen Juden (und gegen andere Minderheiten) gleich von 1933 an den Alltag der Verfolgten regierten. Verbote wohin man sieht, Verbote bestimmte Berufe auszuüben, sich auf Parkbänke zu setzen, zu bestimmten Tageszeiten einzukaufen, Behörden aufzusuchen oder sich in Kurorten aufzuhalten: die Liste nimmt beinahe kein Ende und ist trotzdem unvollständig, wie der Autor selbst anmerkt. So ist auch das Verbot, in der Öffentlichkeit Lederhosen zu tragen, nicht in der Liste enthalten. Ich empfehle sehr, allein diese Liste auf den Seiten 110 bis 124 des erwähnten Buchs zu lesen, um sich eine Vorstellung von dem zu machen, was die Schoa wirklich war: es war eine im schlimmsten Sinn deutsche, eine bürokratisch und detailliert durchgeplante Aktion zur Vertreibung und Vernichtung der Juden.

Seit 2005 soll ein Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin-Mitte an die in deutschem Namen begangenen Monstrositäten erinnern. Ich fühlte das Bedürfnis, diesen Ort wieder einmal aufzusuchen.



Ein deutscher Politiker, ein Abgeordneter im Landtag von Thüringen für die "Alternative für Deutschland" wagte es, im Januar 2017 in Dresden zu sagen:
"Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat." (Björn Höcke)

Und ich sage: Es hätten nicht nur 2711 Stelen gesetzt werden sollen, sondern eine für jeden umgebrachten Menschen. (Dann allerdings wäre Berlin jetzt unbewohnbar.)

Freitag, 15. September 2017

Die Berliner...

 ... immer noch eins draufsetzen!

Der Tourismus in Berlin brummt, man hört fast ebensoviele asiatische Wortfetzen wie Englisch, Spanisch und Holländisch. Obwohl die Stadt überreichlich viele Attraktionen zu bieten hat, jetzt haben eifrige Tourismusmanager dem Turm der St. Marienkirche an der Karl-Liebknecht-Straße auch noch ein Drehrestaurant samt Antennenmast aufgesetzt.

Oder is det womöchlich en Fake, wa?

Donnerstag, 14. September 2017

Liebe Freunde, liebe Leser,

Euch ist selbstverständlich nicht entgangen, wie mein Ton auf diesem Blog etwas ernster geworden ist. Tatsächlich begegne ich in jüngerer Zeit immer öfter Nachrichten und Meldungen und ich stolpere über Steine der Mahnung, die mich zum Nachdenken zwingen. Ein Besuch in der Ausstellung des Märkischen Museums in Berlin zu dem Thema "Berlin 1937 - Im Schatten von Morgen" hat mir vor Augen geführt, wie eine Gesellschaft schleichend ihres Anstands, ihrer Toleranz und ihres Mitgefühls entwöhnt und beraubt werden kann.

Die Zunahme antisemitischer Straftaten im Deutschland der Gegenwart und die wachsende Zustimmung zu einer Partei, die es schon nicht mehr nötig hat, sich von ihren rassistischen und antisemitischen Wortführern zu distanzieren, geben mehr als nur zu Denken. Mich macht der Gedanke zornig, mit welch gefährlich engem, rechtsnationalistischem Horizont immer noch um Stimmen von Gutgläubigen geworben wird!

Ihr in Deutschland steht vor der Wahl für den Bundestag (ich darf als Ausgewanderter nicht mehr mitwählen). Mit großer Wahrscheinlichkeit werden dieser verkappt neo-nazistischen Partei Sitze und Stimmen im Parlament der Bundesrepublik Deutschland zufallen. Sorgt bitte dafür, auch genügend fähige Demokraten in das Parlament zu schaffen, die diesen Populisten in Debatten Paroli bieten können.

Derweil genieße ich die Freiheit, ganz entspannt mit einigen unausgegorenen und unproduktiven Gedanken zu jonglieren, ganz so wie es der Titel dieses Blogs zu suggerieren versucht. Es ist aber nicht ganz auszuschließen, daß ich zuweilen auch den Boden der Wirklichkeit berühre.

Montag, 11. September 2017

Pompeji? Oder?

Nordwestliche Bastion an der Oder
Beim Stichwort "Festung Küstrin" geht im Gedächtnis vieler Deutscher ein Lichtlein an: "War das nicht dort, wo der Leutnant Katte unter den Augen seines Freundes, des Kronprinzen Friedrich hingerichet wurde?" Richtig, das passierte gleich neben dem Schloß im Jahr 1730 und ist vielfach literarisch, in Bühnenstücken und auch in Filmen behandelt worden.

Heute werden die Ruinen der komplett zerstörten Altstadt von Küstrin - inzwischen polnisch Kostrzyn nad Odrą - zuweilen etwas vollmundig als das Pompeji an der Oder beschrieben. Es ist wohl richtig, daß im 2. Weltkrieg keine deutsche Stadt so komplett zerstört wurde, wie die ehemalige preussische Festungsstadt, aber es war eine Zerstörung mit Ansage. Im März 1945 war hier gegen alle militärische Vernunft versucht worden, den Vormarsch der Roten Armee auf Berlin und ihren Übergang über die Oder aufzuhalten. Der heftige Beschuß über mehrere Tage ließ kaum einen Stein auf dem anderen, er kostete vielen Tausenden Soldaten auf beiden Seiten das Leben und änderte trotzdem nichts am raschen Ende des Krieges.
Innenhof des Schlosses im Jahr 2017. Der Sockel trug einst ein Standbild des brandenburgischen Kurprinzen Friedrich Wilhelm. Die Treppe im Hintergrund führte in den Westflügel des Schlosses. 


Apothekergasse
Mehr als siebzig Jahre danach ist der Ort immer noch ein Trümmerfeld, und er wird es wohl auch bleiben. Treppen von Hauseingängen führen ins Nichts, einige der ehemaligen Gassen sind freigeräumt worden und erlauben, zwischen den überwachsenen ehemaligen Hausstellen hindurch zu gehen. Ziegel der zerstörten Häuser sind nach Warschau zum Aufbau der zerstörten Hauptstadt geschafft worden, eine Bastion der Festung wurde als Museum hergerichtet.

Donnerstag, 7. September 2017

Zeugnisse von Intoleranz, Rassismus und Gewalt wohin man den Fuß setzt

Es fing zufällig an, bei meiner Radtour an der Mittelweser. Der Weg führte mich an dem jüdischen Friedhof von Stolzenau vorbei. Davon habe ich am 11. Juli berichtet. Mein Besuch in der KZ-Gedenkstätte in Dachau war dagegen geplant. Auf meinem Weg vom südwestlichsten Winkel Deutschlands nach Osten wollte ich die Gelegenheit nicht verpassen.

Danach, und ohne Absicht, stolperte ich immer wieder über Zeugnisse jüdischen Lebens und Sterbens in Mitteleuropa.

Alter Judenfriedhof in Eisenstadt
 Eisenstadt im Osten Österreichs interessierte mich als Residenzstadt der ungarischen Dynastie der Esterházy und als Landeshauptstadt des Burgenlandes. Das Schloß, ein rechteckiger Kasten ohne viel architektonische Finessen, beeindruckte mich nicht sehr. Doch schon ein paar Schritte weiter stand ich vor dem Österreichisch Jüdischen Museum und damit im ehemaligen Judenviertel der Stadt. Im 17. Jahrhundert hatte der regierende Fürst Esterházy 3000 aus Wien vertriebenen Juden erlaubt, sich in und um Eisenstadt anzusiedeln und hatte sie unter seinen Schutz gestellt. Damit hatte es erst mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Österreich ein Ende. Der noch erhaltene Alte Judenfriedhof in der Stadt ist ein bewegendes Zeugnis jüdischer Geschichte.

Später auf meiner Reise wurde ich in Regensburg wieder auf das Schicksal von Juden aufmerksam. Im Rahmen einer Multimediapräsentation aus Anlaß der Aufnahme der Stadt in die Welterbeliste der UNESCO wurde von der Umgestaltung eines Viertels im Herzen der Altstadt berichtet, nachdem dort im Jahr 1520 das Judenviertel abgerissen worden war. Einfach so, ohne weitere Erläuterung, wurde vom Bau einer Kirche berichtet, ohne in der Präsentation zu erwähnen, daß die Neupfarrkirche der Stadt genau am Platz der ehemaligen Synagoge errichtet wurde. Ich nahm mir vor, später Informationen zu dem Thema zu suchen. Zunächst hatte ich meinen Rundgang durch Regensburg fortgesetzt und stand bald darauf vor einem interessanten modernen Bodenrelief aus weißem Beton, gleich neben der Neupfarrkirche. - Lange nach meinem Stadtrundgang fand ich bei meiner Nachforschung zum Verbleib der Regensburger Juden heraus, daß hier eine der damals größten jüdischen Gemeinden im Reich gelebt hatte. Bei einem Pogrom im Jahr 1519 wurden etwa 300 Juden umgebracht, die anderen wurden vertrieben. Ihr Stadtviertel samt der Synagoge wurde völlig zerstört, ebenso der jüdische Friedhof. Als ich bereits weitergereist war, lernte ich, daß das erwähnte Bodenrelief genau die Fundamente der ehemaligen Synagoge darstellt. Hätte ich das früher gewußt, hätte ich sicher ein Foto davon gemacht...

Danach, auf meiner nächsten Station am 31. August in Bayreuth, bedurfte es keines besonderen Hinweises, um mich auf die Haltung des Komponisten Wagner zu den Juden und die Verquickung des Wagnerschen Familienbetriebs der Bayreuther Festspiele mit dem Nationalsozialismus aufmerksam zu machen. Die Ausstellung über die Vertreibung der Juden aus dem Opernbetrieb vor und während des Dritten Reiches direkt im Park vor dem Festspielhaus beschreibt ausführlich den kläglichen Rassismus im deutschen Kulturbetrieb des 19. und 20. Jahrhunderts.

Wer seinen Rundgang durch die historische Altstadt von Leipzig etwas über den allerinnersten Zirkel um Nikolaikirche, Gewandhaus und Thomaskirche ausdehnt, prallt beinahe auf eine Betonmauer, die zur Erinnerung an das Schicksal von 14000 jüdischen Leipziger Bürgern während des Nationalsozialismus errichtet wurde. So passierte es mir, als ich ahnungslos die Gottschedstaße entlang schlenderte und an die Ecke Zentralstraße gelangte. Auf dem Platz, der nach der Zerstörung der Synagoge in Folge der Pogrome des 9. November 1938 frei geblieben war, erinnern heute leere Stuhlreihen daran, wie die Sitzordnung in dem jüdischen Gotteshaus ausgesehen haben könnte. Auch diesen Ort hatte ich nicht gesucht, und er hat mich dennoch gefunden.

Leipzig
Diese Reihe von Zufällen illustriert wohl nur, wie allgegenwärtig Zeugnisse der Gegenwart und dem Verschwinden von Juden in Europa sind. Juden sind ein wichtiger Teil der Kulturgeschichte, vor allem im deutschsprachigen Raum. Ihre Verfolgung und Vernichtung war zunächst "christlich" begründet, bevor aus dem ursprünglichen Antijudaismus ein verworrener Rassenwahn entwickelt wurde.
Immer wieder treffe ich inzwischen auf Hinweise und Bezüge zum Judentum.






Zu welchen wahnsinnigen und verrückten Auswüchsen der Antisemitismus der Nazis fähig war, will ich mit folgender Begebenheit erzählen. Auf der Autobahn A9 zwischen Nürnberg und Leipzig gibt es kurz vor dem Hermsdorfer Kreuz eine Autobahnanschlußstelle mit Namen Lederhose. Nachdem ich diese Stelle staunend und lachend passiert hatte, ging ich am gleichen Tag noch der Ursache für diesen lustigen Namen nach. Die Erklärung und ein paar Anekdoten dazu finden sich im Internet. Die Suche mit diesem Stichwort förderte aber auch den Link zum Wikipedia-Artikel über Lederhosen zu Tage. Und in dem Artikel fand ich dann erstens die erstaunliche Information, daß Lederhosen keineswegs ein historischer Bestandteil der traditionellen bayerischen Tracht sind, und zweitens daß die Nazis im Jahr 1938 den Juden das öffentliche Tragen von Lederhosen verboten haben. Dazu fällt mir nichts mehr ein.