Sonntag, 21. Mai 2017

Oh Dixieland, wie bist du in die Jahre gekommen!

... und ich mit ihm.

Zuweilen bekommt man diese Selbstverständlichkeit so drastisch vor Augen geführt, daß man erschrickt. So, wie es mir jüngst erging:

47. Internationales Dixieland-Festival in Dresden, eines der großen Eröffnungskonzerte, drei Bands aus drei Ländern. Schon in der Warteschlange am Eingang zur Konzerthalle wunderte ich mich über all "die alten Leute", die mit mir in der Schlange warteten. Dazu muß ich erwähnen, daß viele Mitmenschen mich inzwischen auch zu dieser Gruppe rechnen, die etwas verziert auch "Senioren" genannt wird. Nur ich selbst teile diese Auffassung noch nicht ganz.

Dixie-Publikum
Ich wundere mich also noch über die Gesellschaft, in der ich mich wiederfinde, frage mich, ob es nur die "Alten" sind, die so übermäßig früh erscheinen, und ob die Jüngeren erst im letzten Moment erscheinen. Schließlich sind die Eintrittskarten - übrigens keineswegs billige - für nummerierte Plätze verkauft und der Platz ist gesichert.
Wie der angekündigte Beginn des Konzertes immer näher rückt, steigert sich meine Verwunderung in Verblüffung. Nach meiner Schätzung sind nicht zehn Prozent der Besucher unter 50 Jahre alt, dafür aber deutlich mehr als die Hälfte schon lange im Rentenalter und darüber. So hatte ich mir die Freunde der Dixieland-Musik nicht vorgestellt.

Es ist weit über vierzig Jahre her, daß ich an der lockeren fröhlichen Form des Dixieland-Jazz Gefallen fand. Das war in Hannover, wo es eine lebhafte Szene für dieses Musik-Genre und einen Jazzclub gab. Die Lokalmatadoren waren damals die Gruppe "Happy Jazz & Co.". In die gleiche Zeit fällt wohl auch etwa die Endphase des Dixieland-Revivals, das von England herübergekommen war und mit Namen wie Chris Barber, Acker Bilk und der Dutch Swing College Band verbunden ist.

Seit meiner Zeit in Hannover hatte ich weniger direkten Kontakt mit einer lebendigen Dixieland-Szene, und seit rund 25 Jahren in Lateinamerika gar keinen mehr. Was ich in diesen vielen Jahren hörte waren Konserven, und zwar meist die alten Original-Aufnahmen der Klassiker dieser Musikrichtung. Davon ist meine Erinnerung und mein Musikgeschmack geprägt.

Dixie-Fan aus Hamburg
in Dresden
Das Dixieland-Festival in Dresden erlebte in diesem Jahr seine 47. Auflage. Es war also nur wenige Jahre, bevor ich Geschmack an der Dixieland-Musik fand, als eine Gruppe Jazz-Begeisterter in der DDR unter den damaligen sozialistischen Bedingungen eine Veranstaltung versuchte, aus der sich das inzwischen größte Dixieland-Festival in Europa entwickelte. Und es ist nicht zu übersehen: viele der damaligen Vorreiter dieser Bewegung sind ihrer Musik treu geblieben und bilden heute immer noch den harten Kern der Festival-Besucher.

Es ist aber auch nicht zu übersehen, daß der vor rund hundert Jahren "erfundene" Dixieland in die Jahre gekommen ist. Bei den Jüngeren kommt dieser Oldtime-Jazz nicht mehr so recht an und wird beinahe schon in die Nähe bayrischer Blasmusik gerückt. Für sie ist das eine altmodische Musik, die auch meist von älteren weißhaarigen Herren für ebensolches Publikum gespielt wird. Und es stimmt: Selbst mir ist aufgefallen, daß ich nach vielen Jahren meiner Dixie-Begeisterung beim Hören der alten Stücke Ermüdungserscheinungen fühle. Nur wenigen aktuellen Interpreten gelingt es, aus den alten Stücken noch eine Art von jungem Drive und Swing herauszukitzeln.

Von all den Gruppen und Bands, die ich während der drei Tage bei dem Festival gehört habe, ist mir eine junge Band in Erinnerung geblieben, der es gelingt, das alte Muster des Dixie so umzustricken, daß daraus beinahe ein neues schickes Gewand wird. Von dieser jungen internationalen Gruppe aus Berlin, den "Dizzy Birds" gibt es ein paar Aufnahmen auf YouTube. Es lohnt sich, da einmal hineinzuhören.

Dizzy Birds in Dresden



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