Als die Besucher des Gottesdienstes aus der Kirche kamen, konnten sie unser Mobil mit dem westdeutschen Nummernschild kaum übersehen. Zu der Zeit waren es noch nicht sehr viele Reisende aus der Bundesrepublik, die mit einem Wohnmobil im Winter bis nach Dresden kamen, und es dann auch noch im Zentrum der Altstadt vor der Kirche abstellten. So kamen wir mit vielen Leuten schnell ins Gespräch, wurden freudig begrüßt, wünschten uns gegenseitig eine gute Zukunft und teilten mit ihnen unseren Neujahrssekt aus Pappbechern. Danach zogen wir mit einigen von ihnen weiter in ein nahes Lokal, wo wir bis in den frühen Morgen feierten.
An dieses Erlebnis erinnere ich mich sehr gern. Es bedeutet für mich die persönlichste und direkteste Erfahrung, die ich mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Beginn des Zusammenwachsens der beiden Teile Deutschlands verbinde.
Als ich jüngst wieder nach Dresden kam, suchte ich nach dem damaligen Parkplatz für das Wohnmobil, fand ihn aber nicht. Wohl fand ich die Kreuzkirche, aber die war von Geschäftsgebäuden umgeben, geradezu zwischen ihnen eingeklemmt. Die Kirche mit dem großen freien Platz davor konnte also nicht die Kreuzkirche gewesen sein, dachte ich. Ich suchte nach einem anderen Platz im Zentrum Dresdens, der meinen Erinnerungen von vor mehr als 27 Jahren entsprach, fand aber nichts dergleichen.
Erst eine "alte Dresdnerin" (in Wahrheit eine junge, aber Eingeborene) klärte mich auf, daß der Platz vor der Kreuzkirche mit dem Altmarkt bis vor nicht allzulanger Zeit ein großer freier Platz war. Der war zum Teil durch die Zerstörungen des Krieges entstanden und erst in den letzten zehn, fünfzehn Jahren wieder bebaut worden.
Im Internet fand ich dann die Bestätigung für beides: ein Foto von etwa 1900 zeigt die Kirche eingezwängt zwischen Geschäftshäusern der damaligen Zeit, und ich fand auch ein Foto von 2008, auf dem die Westfront der Kirche - da, wo wir einst geparkt hatten! - noch nicht von Betonklötzen verstellt ist.
Wenngleich die neue Bebauung um die Kirche in etwa dem früheren Zustand vor den Zerstörungen entspricht, empfinde ich die Mißachtung der historisch wertvollen Architektur der Kirche als barbarisch. Ich finde, man hätte die durch den Krieg geschaffenen Fakten als Chance nutzen können, dem Bauwerk eine angemessen representative Schauseite und den dafür nötigen Platz zu lassen.
Allerdings wäre es dann auch nötig gewesen, die stets impertinenten Wohnmobilfahrer von dem Ort fernzuhalten...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen